Liebster Mitbewohner
bittest, sein Zimmer wieder aufzugeben. Er wohnt erst seit zwei Tagen hier, wahrscheinlich hat er sich noch gar nicht eingelebt und findet es gar nicht so schlimm, sich noch mal nach etwas Neuem umzusehen.“
„Du… das ist nicht dein Ernst, oder? Egal, wie sehr du versucht, es dir schönzureden: Niemandem macht es nichts aus, zwei Tage nach dem Einzug wieder aus der Wohnung geworfen zu werden.“
„Na ja, so richtig rauswerfen sollst du ihn ja gar nicht. Sondern nur mal mit ihm reden. Vielleicht… “
„Es tut mir wirklich, wirklich leid, Maja. Aber das geht nicht. Er ist auch ein Freund von mir und… ehrlich gesagt glaube ich, dass es ihm noch viel schlechter geht als dir. Verdammt, warum hast du auch nicht vorher angerufen? Dann hätte ich dir die Lage erklärt und du hättest noch ein paar Tage bei Leon bleiben können.“
„Das hat er mir auch angeboten, aber das kann einfach nicht euer Ernst sein!“ Meine Stimme kletterte mindestens zwei Oktaven nach oben.
Daniel hob entschuldigend beide Hände. „Nur, bis du etwas Neues gefunden hättest. Zumindest würdest du dann jetzt nicht auf der Straße stehen. Was hat der Kerl eigentlich so Schreckliches getan, dass du Hals über Kopf aus der Wohnung geflohen bist?“
„Findest du, dass dies der richtige Zeitpunkt ist, um dir mein Herz auszuschütte n? Wir beide auf deinem WG-Flur; ich obdachlos; du auf dem besten Weg, unsere Freundschaft auf dem Gewissen zu haben?“
„Jetzt beruhig dich aber mal wieder!“
Ich atmete tie f ein und wieder aus. Und tatsächlich brachte mich das auf einen neuen Einfall. „Okay. Ich bin ruhig. Und ich spreche jetzt selbst mit deinem ominösen Mitbewohner.“ Ich quetschte mich an Daniel vorbei und lief eilig den langen Flur entlang. Mein Ziel war die erste Tür auf der rechten Seite. Ich streckte die Hand nach der Klinke aus, als Daniel mich plötzlich am Arm packte und zurück riss.
„Das kannst du nicht machen!“, flüsterte er eindringlich. „ Es geht ihm wirklich nicht gut. Die zwei Tage, die er jetzt hier ist, habe ich ihn kaum zu Gesicht bekommen. Ich glaube, er hat eine Art Depression oder so.“
„Eine Art Depression oder so?“ Ich zwang mich, nicht hysterisch aufzulachen. „Über wen reden wir hier eigentlich? Kenne ich ihn?“
Daniel wich meinem Blick aus. „Du solltest lieber gehen.“
„Ich hab ‘ dich was gefragt.“
„ Nei… ja“, presste er hervor. Er hatte noch nie lügen können. Doch allein die Tatsache, dass er es versucht hatte, gab mir sehr zu denken.
„Wer ist es?“
Daniel sah zu Boden.
Jetzt war ich mir sicher, dass hier etwas nicht stimmte. „Sag mal, was geht hier eigentlich vor?“
„Kannst du mir nicht einfach mal vertrauen und glauben, wenn ich dir sage, dass es besser wäre, wenn du gehen würdest?“
„Nein !“ Ich merkte selbst, dass ich gerade laut wurde, aber ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. „Hörst du dich eigentlich selbst reden?“
„Mann, Maja, willst du jetzt auch noch Streit anfangen?“
„Wir sind doch schon längst mittendrin!“
Plötzlich hörte ich, wie hinter mir eine Tür geöffnet wurde. „Falls es euch noch nicht aufgefallen sein sollte: Ihr seid extrem laut. Und ich hätte gern e meine Ruhe.“
Während ein Teil meines Gehirns grübelte, woher ich diese kühle Stimme kannte, fragte sich der andere, warum Daniel die Person hinter mir mit einem derart entsetzten Gesichtsausdruck anstarrte.
Ich fuhr herum und starrte ebenfalls.
Es war Felix. Dieser 27-jährige Felix sah ein wenig anders aus, als der 19-jährige Felix, den ich in Erinnerung hatte. Trotzdem erkannte ich ihn sofort. Und plötzlich nahm dieser Tag, der bisher der schlimmste meines Lebens gewesen war, eine unerwartete Wendung. Er wurde zu dem Tag, den ich mir die letzten acht Jahre immer und immer wieder ausgemalt hatte. Ohne wirklich daran zu glauben, dass er sich jemals ereignen würde.
Eigentlich hatte der Tag gut begonnen. Schon länger hatte ich mit dem Gedanken gespielt, mein Jurastudium abzubrechen, um Design zu studieren. Und im Laufe der gestrigen Nacht, in der ich viel wach gelegen und gegrübelt hatte, war die endgültige Entscheidung gefallen. Den Rest der Nacht hatte ich friedlich geschlafen, in dem wohligen Wissen, dass ich das Richtige tat. Am nächsten Morgen wachte ich mit einem Lächeln im Gesicht auf. Voller Enthusiasmus sprang ich aus dem Bett und gab Leon, der neben mir lag, einen Weckkuss, bevor ich ins Bad ging. Danach setzte ich summend
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