Lieder von Sternen und Schatten
daß wir sie auch nur erfolgreich bekämpfen können. Alles spricht für sie. Eine Gefangennahme wäre offenkundig unmöglich.«
»Aber eine Rettungsaktion nicht«, erklärte Reyn störrisch. »Wir sollten es wagen. Es lohnt sich.«
»Das haben wir schon geklärt, Bill«, sagte Delvecchio. »Keine Rettungsaktion. Wir haben nur sieben Mann, um vielleicht Hunderte abzuwehren – ich kann es mir nicht leisten, einen einzigen für eine theatralische Geste zu opfern.«
»Sieben Mann, die Hunderte abwehren wollen, entsprechen für mich eher einer theatralischen Geste«, sagte Reyn. »Um so mehr als es vielleicht nur ein paar Überlebende gibt, die gerettet werden können.«
»Aber was ist, wenn sie alle überleben?« sagte Sheridan. »Und wenn alle schon in der Gewalt der Schwämme sind? Bleiben wir ernst, Reyn. Der Sporenstaub ist überall. Sobald sie ungefilterte Luft atmen, nehmen sie ihn auf. Und in 72 Stunden werden sie sein wie der Rest des tierischen Lebens auf diesem Planeten. Dann wird der Schwamm sie auf uns loslassen.«
»Herrgott noch mal, Sheridan!« brüllte Reyn. »Sie könnten noch in ihren Kapseln sein. Vielleicht wissen sie nicht einmal, was geschehen ist. Vielleicht schlafen sie noch. Woher, zum Teufel, soll ich das wissen? Wenn wir dort sind, bevor sie herauskommen, können wir sie retten. Oder irgend etwas tun. Wir müssen es versuchen.«
»Nein. Schauen Sie. Der Absturz wird das Schiff mit Sicherheit abgeschaltet haben. Sie werden wach sein. Als erstes werden sie auf ihre Listen gucken. Nur der Schwamm ist als geheim eingestuft, so daß sie nicht wissen können, in welchem Dreck sie gelandet sind. Alles, was sie wissen, ist, daß Greywater die einzige menschliche Siedlung hier ist. Sie werden sich auf den Weg zu uns machen. Und sie werden infiziert werden. Und besessen.«
»Deshalb müssen wir uns ja beeilen«, sagte Reyn. »Wir sollten drei oder vier von unseren Flugzeugen armieren und gleich losfliegen. Auf der Stelle.«
Delvecchio beschloß, dem Streit ein Ende zu machen. Der letzte von dieser Art hatte eine ganze Nacht angehalten.
»Das bringt uns nicht weiter«, sagte er scharf und funkelte Sheridan und Reyn böse an. »Es ist sinnlos, noch weiter zu diskutieren. Wir werden nur wütend aufeinander. Außerdem ist es spät geworden.« Er schaute auf die Uhr. »Wir machen sechs Stunden Pause und fangen wieder an, wenn es hell wird. Wenn wir uns abgekühlt haben und nicht mehr so müde sind. Wir werden klarer denken können. Und bis dahin werden auch Sanderpay und Miterz zurück sein. Sie haben auch mitzureden.«
Es gab drei Brummlaute der Zustimmung. Und einen scharfen Ton des Widerspruchs.
»Nein«, sagte Reyn. Sehr laut. Er stand auf und überragte die anderen in ihren Sesseln. »Das ist zu spät. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.«
»Bill, Sie –«, begann Delvecchio.
»Die Männer könnten erfaßt werden, während wir schlafen«, fuhr Reyn fort, ohne auf seinen Vorgesetzten zu achten. »Wir müssen doch etwas tun.«
»Nein«, sagte Delvecchio. »Und das ist ein Befehl. Wir sprechen morgen früh darüber. Versuchen Sie zu schlafen, Bill.«
Reyn sah sich nach Unterstützung um. Er fand keine. Er funkelte Delvecchio kurz an, dann drehte er sich um und verließ den Turm.
Delvecchio hatte Schwierigkeiten beim Einschlafen. Er wurde mindestens zweimal wach, in Bettzeug, das kalt und klebrig von Schweiß war. In seinem Alptraum war er außerhalb von Greywater, knietief im graugrünen Schlamm, und sammelte Proben für die Analyse. Während er arbeitete, beobachtete er in der Ferne einen großen amphibischen Schlammtraktor, der auf ihn zuwalzte. Obenauf saß ein Mensch, dessen Züge hinter Filtermaske und Überhaut unsichtbar blieben. Der Traum-Delvecchio winkte dem Traktor, als er sich näherte, und der Fahrer winkte zurück. Dann hielt er nahebei an, stieg aus dem Fahrerhaus und drückte Delvecchio fest die Hand.
Nun konnte Delvecchio hinter die durchsichtige Filtermaske blicken. Es war Ryerson, der tote Geologe, sein Freund Ryerson. Aber sein Kopf war stark angeschwollen, und aus beiden Ohren hingen Schwammausläufer.
Nach dem zweiten Alptraum gab er es als sinnlos auf. Sie hatten Ryerson oder Blatt nach dem Absturz nie gefunden. Vom Aufprall wußten sie allerdings, daß es nicht viel zu finden geben würde. Aber Delvecchio träumte oft von ihnen und vermutete, daß es manche von den anderen auch taten.
Er zog sich im Dunkeln an und ging zum Zentralturm. Sanderpay, der
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