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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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luden uns noch immer zu unseren Geburtstagen ein. Er war jetzt Pressesprecher in einem großen Chemie-Unternehmen. Er und Mariele hatten drei Kinder. Einmal sagte er, er habe Gloria getroffen, und sie lebe nun in Düsseldorf. Gisela hatte mir mal zu Weihnachten eine Karte geschickt, die ich nicht beantwortet hatte, und von Roberta hatte ich gar nichts mehr gehört.
    Ich ging wieder ins Schlafzimmer. Tina lag noch immer auf dem Bett. Ich setzte mich neben sie und streichelte ihren Nakken.
    »Es stimmt nicht«, sagte ich. »Ich habe nicht mit dieser Frau geschlafen.«
    »Sie schien dich ziemlich gut zu kennen.«
    »Sie war eine Studentin von mir. Ihre Arbeit war schlecht, ich mußte ihr eine Fünf geben, und sie mußte den Schein noch mal machen. Da war sie sauer und hat sich das ausgedacht.« Es war nicht schwer, das zu sagen. Schon nach ein paar Sekunden glaubte ich es selbst. Also war es die Wahrheit: Ich hatte gar nicht mit Simone geschlafen. Ich war unschuldig. Ich war treu. Aber sie? Die Sache mit dem Schwangerschaftstest war nicht in Ordnung.
    »Ich glaube dir nicht.«
    Sie hatte recht, ich war ein Lügner. Ein mieser kleiner Lügner, der vor allem und zuerst sich selbst belog. Und sich selbst diesen Scheiß auch noch glaubte!
    »Warum nicht?« fragte ich sie. War ich ein so schlechter Lügner? Kriegte ich nicht einmal das hin?
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich glaube dir einfach nicht.«
    Also ist es ihr Problem. Sie glaubt irgendeiner wildfremden Frau, die anruft und behauptet, mit mir geschlafen zu haben, mehr als mir. »Das tut mir sehr weh«, sagte ich.
    »Du mußt dich langsam mal entscheiden, ob das, was wir hier haben, etwas Festes ist.«
    »Natürlich ist es das.« Hatte ich das tatsächlich gesagt? Oder hatte ich es nur gehört? Wer hatte es dann gesagt?
    »Ich habe aber nicht den Eindruck.«
    »Wieso nicht?« Mir ging durch den Kopf, daß dieser Moment eigentlich wert wäre, im Bild festgehalten zu werden.
    »Du bist nie richtig hier.«
    »Was soll das heißen?«
    »Du bist hier, aber nicht wirklich. Und manchmal sitzt du nur in deinem Arbeitszimmer, oder du schläfst auf der Couch. Manchmal glaube ich, du bist nur zu Besuch hier.«
    »Das ist doch Unsinn.«
    »Ich will ein Kind, oder ich mache Schluß.« Ihr Gesicht sah aus wie aus vielen verschiedenen Einzelteilen zusammengegesetzt. Aber sie hatte jetzt wieder etwas mehr Farbe.
    »Das ist nicht dein Ernst!«
    »Mir reicht es. Ich will, daß du dich entscheidest. Willst du richtig hier sein oder nicht?«
    Ich stand auf und sah sie an. Warum war ausgerechnet ich ausgerechnet hier?
    Ich ging in die Diele, nahm meine Jacke vom Haken und ging hinaus. Den Tag über war es warm gewesen, aber jetzt war es kühl. Ich lief umher und versuchte, mir mich selbst mit Kindern vorzustellen. Für Kinder mußte man immer dasein, und man mußte ihnen alles erklären und sie beschützen. Und manchmal wurden sie krank, oder es stieß ihnen etwas zu. Manche kamen schon krank auf die Welt. Das konnte passieren, und es passierte ständig. Kinder kriegen war wahrscheinlich das, was man tun mußte, wenn man herausbekommen hatte, daß die eigene Mutter ein geheimes Konto unterhielt und sich vom Vater trennte. Man mußte die Legende neu schreiben, jemanden in die Welt setzen, der noch einmal ein paar Jahre daran glaubte, daß sich ein Leben in den Worten »Vater« und »Mutter« erschöpfen konnte. Jemand, der einem glauben mußte, egal was man sagte.
    Ich würde vielleicht nie wieder mit einer anderen Frau schlafen als mit Tina.
    Ich kam zu einer Tankstelle und kaufte ein paar Dosen Bier und eine kleine Flasche Weinbrand. Wie damals, nach der Sache mit Simone. Tina glaubte mir nicht. Sie traute mir zu, daß ich sie betrüge.
    Nie wieder eine andere. Nie wieder andere Hände, andere Augen, andere Brüste, andere Arschbacken, nie wieder ein anderes weibliches Geschlechtsteil, ach sagen wir es doch, wie es ist: nie wieder eine andere Möse.
    Sie glaubte, daß ich sie betrogen hatte. Aber es stimmte nicht, denn ich glaubte es nicht mehr, also war es nicht passiert, auch wenn ich mich daran erinnerte, denn erinnern kann man sich an jeden Scheiß, das hatte nichts zu sagen. 
     
    Was jetzt?
     
    Was sollte man mit mir anfangen? Was sollte ich mit mir anfangen? War ich ein Arschloch? Der Führer aller Arschlöcher, der Champion aller Arschlöcher, das Oberarschloch? Was war dran an mir? Außer, daß ich mir keine Seminararbeiten über fünfzehn Seiten andrehen ließ?

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