Life - Richards, K: Life - Life
Bewegung und keine Labour Party gab. Ernie und meine Großmutter Eliza heirateten 1902, als die Partei noch in den Kinderschuhen steckte - 1900 hatte sie lediglich zwei Abgeordnete im Parlament. Ernie sicherte Keir Hardy, dem Gründer der Partei, die Stimmen seines Londoner Stadtteils. Nach dem Ersten Weltkrieg hielt er diese Festung für Keir. Tagein, tagaus trommelte er für die Partei und warb Mitglieder. Damals war Walthamstow fruchtbares Labour-Territorium. Dort lebten viele aus dem Londoner East End zugezogene Arbeiter und eine neue Bevölkerungsgruppe, die per Zug in die Stadt pendelte - das politische Rückgrat der Partei. Ernie war unerschütterlich in der buchstäblichen Bedeutung des Wortes. Kein Nachgeben, kein Rückzug. Walthamstow
wurde eine Labour-Hochburg, ein bombensicherer Parlamentssitz für Clement Attlee, den ersten Labour-Premier nach dem Krieg, der Churchill 1945 aus dem Amt verdrängt hatte und in den Fünfzigern Walthamstows Abgeordneter war. Zu Ernies Tod schickte er eine Botschaft, in der er ihn das »Salz der Erde« nannte. Bei seiner Beerdigung sangen sie »The Red Flag«, ein Lied, das noch bis vor kurzem auf den Labour-Parteitagen gesungen wurde. Das Anrührende des Textes war mir bis dahin nie aufgefallen.
Then raise the scarlet standard high,
Within its shade we’ll live and die,
Though cowards flinch and traitors sneer,
We’ll keep the red flag flying here.
Und was war Ernies Beruf? Er arbeitete fünfunddreißig Jahre lang für die gleiche Nahrungsmittelfirma als Gärtner. Meine Großmutter Eliza war, wenn das überhaupt möglich war, noch »salziger« - sie wurde noch vor Ernie in den Gemeinderat und 1941 zur Bürgermeisterin von Walthamstow gewählt. Sie hatte sich wie Ernie in der politischen Hierarchie hochgearbeitet. Sie stammte aus der Arbeiterklasse von Bermondsey und war maßgeblich für den Aufbau der Kinderfürsorge in Walthamstow verantwortlich - eine wahre Reformerin. Sie muss eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen sein. Sie wurde Vorsitzende der Wohnungsbaukommission in einem Stadtbezirk, der eines der größten Programme für den Ausbau von Sozialwohnungen im ganzen Land aufzog. Doris hörte nie auf, sich darüber zu beklagen, dass Eliza ihr und Bert nach der Hochzeit kein Haus der Kommune besorgt hatte - sie sei derart rechtschaffen gewesen, dass sie sich geweigert hätte, sie auf der Warteliste ein bisschen nach oben zu schieben. »Ich kann dir kein Haus besorgen. Du bist meine Schwiegertochter.« Nicht nur streng, sondern unbeugsam.
Das hat mich immer fasziniert: die Unwahrscheinlichkeit, dass jemand aus so einer Familie mit jemandem aus einer Familie von Freigeistern zusammenkommen konnte.
Doris hatte sechs Schwestern - ich wurde von beiden Seiten meiner Familie in ein Matriarchat hineingeboren. Sie wuchsen in Islington auf und hatten nur zwei Schlafzimmer, eins für die sieben Mädchen und eins für meine Großeltern Gus und Emma. Ziemlich beengte Wohnverhältnisse. Das Wohnzimmer nach vorne wurde nur an Sonn- und Feiertagen benutzt, hinten lagen die Küche und der Wohnraum für jeden Tag. Die ganze Familie lebte in diesen paar Zimmern und der kleinen Küche. Im ersten Stock wohnte noch eine Familie.
Meinem Großvater Gus - Gott segne ihn - verdanke ich unendlich viel von meiner Liebe zur Musik. Ich schreibe ihm immer noch kleine Zettel, die ich mir an die Wand pinne. »Thanks, Granddad.« Theodore Augustus Dupree, der von Frauen umgebene Patriarch der Familie, lebte mit seinen sieben Töchtern nicht weit von der Seven Sisters Road in der Crossley Street 13, London N7. Er sagte immer: »Sind ja nicht nur die sieben Töchter, sondern auch noch meine Frau.« Seine Frau Emma, meine leidgeprüfte Großmutter, war eine geborene Turner und eine sehr gute Klavierspielerin. Emma stand wirklich eine ganze Stufe über Gus - sie war sehr damenhaft und sprach Französisch. Keine Ahnung, wie er sie an Land ziehen konnte. Sie lernten sich bei der Landwirtschaftsschau in Islington kennen, im Riesenrad. Gus war ein Bild von einem Mann, er hatte immer einen lockeren Spruch drauf, lachte immer. Wenn es hart auf hart kam, sorgte er mit seinem Humor und seinem ständigen Lachen dafür, dass es weiterging und die Lebensgeister auf Trab blieben. In seiner Generation waren viele so. Doris hatte eindeutig seinen schrägen Sinn für Humor und seine Musikalität geerbt.
Jeder in unserer Familie tut so, als wüsste kein Mensch, woher Gus eigentlich stammt. Andererseits, wer
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