Life - Richards, K: Life - Life
hatte ich Haustiere. Eine Katze und eine Maus. Schwer vorstellbar, die Kombination - aber vielleicht erklärt sie ein bisschen, wie ich bin. Die kleine weiße Maus hieß Gladys. Ich nahm sie mit in die Schule und plauderte mit ihr, wenn mich die Französischstunde langweilte. Ich gab ihr von meinem Mittag-und Abendessen ab und kam mit Hosentaschen voll Mäusescheiße nach Hause. Mäusescheiße ist nicht schlimm. Sie ist nicht matschig, sondern kommt in winzigen harten Kügelchen raus und stinkt auch nicht. Man stülpt einfach die Taschen nach außen, und die Kügelchen kullern raus. Gladys war treu und zuverlässig. Sie steckte nur selten den Kopf aus der Hosentasche, da das zu ihrem sofortigen Tod hätte führen können. Was Gladys und meiner Katze den Kopf kostete, war Doris. Sie tötete alle Haustiere, die ich während meiner Kindheit hatte. Sie mochte keine Tiere. Sie drohte, dass sie es tun würde, und sie tat es auch. Ich klebte ihr einen Zettel mit der Zeichnung von einer Katze und dem Wort »Mörderin« an die Schlafzimmertür. Das habe ich ihr nie verziehen. Doris reagierte wie immer: »Reg dich ab. Du darfst nicht so weich sein. Das Scheißvieh hat uns die ganze Wohnung vollgepisst.«
Während meiner Kindheit arbeitete Doris als Waschmaschinenvorführerin im Genossenschaftsladen in der High Street von Dartford.
Kurz nach der Erfindung der Maschinen hatte sie damit angefangen. Sie war auf die Marke Hotpoint spezialisiert. Sie war sehr gut bei ihrer Arbeit, eine wahre Künstlerin, wenn es darum ging, die Funktionsweise zu demonstrieren. Doris wollte eigentlich Schauspielerin werden, Tänzerin, sie wollte auf der Bühne stehen. Das lag in der Familie. Ich bin mal in den Laden gegangen, habe mich unter die Leute gemischt und zugeschaut, wie sie die fantastischen Vorzüge der neuen Hotpoint demonstrierte. Sie selbst hatte keine, und es dauerte ewig, bis sie sich eine leisten konnte. Aber sie konnte eine echte Show daraus machen, wie man die Wäsche in die Maschine packte. Die Hotpoint arbeitete nicht mal mit fließendem Wasser - man musste es mit einem Eimer reinkippen und auch wieder rausschöpfen. Die Dinger waren damals so gut wie unbekannt, und die Leute sagten: »Toll, eine Maschine, die mir meine Sachen wäscht, aber das ist alles so kompliziert, wie Weltraumtechnik.« Und meine Mutter musste dann sagen: »Ach was, überhaupt nicht. Das ist kinderleicht.« Später, bevor die Stones groß rauskamen und wir pleite und abgerissen in dem verrotteten Drecksloch in Edith Grove hausten, hatten wir immer saubere Klamotten, denn Doris wusch sie bei ihren Vorführungen, bügelte sie und ließ sie von ihrem Bewunderer Bill, dem Taxifahrer, zu uns zurückbringen. Wenn wir die Sachen morgens losschickten, hatten wir sie abends wieder. Doris brauchte dreckiges Material. Kein Problem, Baby, kannst du haben!
Jahre später trieb sich Charlie Watts jeden Tag auf der Savile Row herum, befühlte die Qualität der Stoffe und zerbrach sich den Kopf darüber, welche Knöpfe er wollte. Ich konnte da nicht hingehen. Schätze, das hatte mit meiner Mutter zu tun. Sie ging dauernd in Stoffgeschäfte und suchte nach Vorhängen. Ich musste dabei den Mund halten. Ich wurde auf einem Stuhl, auf einer Bank, in einem Regal oder sonstwo geparkt und schaute ihr zu. Sie findet,
was sie will, der Verkäufer wickelt es ein und dann … nein, bitte nicht! Sie dreht sich um und sieht noch was anderes, das sie will, und treibt den Mann so zur Weißglut. Stundenlang saß ich da, bis meine Mutter sich für Dinge entschieden hatte, die sie sich nicht leisten konnte. Aber was soll man über die erste Frau im Leben eines Mannes sagen? Sie war meine Mum. Sie zeigte mir, wo es langging. Sie ernährte mich. Pausenlos klatschte sie mir die Haare an den Kopf und strich mir die Jacke glatt - in aller Öffentlichkeit. Demütigend. Aber sie war meine Mum. Ich erkannte erst viel später, dass sie auch mein Freund war. Sie brachte mich zum Lachen. Immer lief Musik, und ich vermisse sie unendlich.
Dass meine Mum und mein Dad zusammenfanden, war ein Wunder angesichts ihrer Herkunft und ihrer gegensätzlichen Persönlichkeiten. Bert stammte aus einer Familie eiserner, unbeugsamer Sozialisten. Sein Vater, mein Großvater Ernest G. Richards, in seiner Gemeinde als Onkel Ernie bekannt, war nicht nur ein treuer Anhänger der Labour Party, Ernie kämpfte auch schon unermüdlich für den arbeitenden Menschen, als es in seinem Heimatort noch keine sozialistische
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