Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Life - Richards, K: Life - Life

Titel: Life - Richards, K: Life - Life Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Richards
Vom Netzwerk:
von uns weiß schon, woher wir wirklich kommen? Vielleicht aus den Tiefen der Hölle. Der Familienlegende nach war sein prachtvoller Name gar nicht sein richtiger. Eigenartigerweise hat sich nie einer von uns die Mühe gemacht, das nachzuprüfen, denn auf dem Volkszählungsbogen steht ja alles: Theodore Dupree, geboren 1892 in Hackney als eins von elf Kindern. Sein Vater, gebürtig aus Southwark, wird als »Tapezierer« aufgeführt. Dupree ist ein hugenottischer Name, und viele Hugenotten kamen von den Kanalinseln - protestantische Flüchtlinge aus Frankreich. Gus hatte mit dreizehn die Schule verlassen, lernte Konditor und übte diesen Beruf in Islington aus. Ein Freund seines Vaters brachte ihm das Geigespielen bei. Er lernte noch mehrere andere Instrumente. In den Dreißigern hatte er eine Tanzkapelle. Damals spielte er Saxofon. Er behauptete, das Giftgas im Ersten Weltkrieg sei daran schuld, dass er danach nicht mehr spielen konnte. Dagegen erzählte mir Bert, dass Gus wegen seiner Konditorausbildung bei einer Verpflegungseinheit und nicht an der Front eingesetzt worden war. Er backte Brot. Bert fügte hinzu: »Wenn er Gas abgekriegt hat, dann höchstens aus seinem Backofen.« Meine über neunzigjährige Tante Marje, die über alles Bescheid weiß und noch lebt, während ich diese Zeilen schreibe, behauptet wiederum, dass Gus 1916 einberufen worden und als Scharfschütze im Ersten Weltkrieg gewesen sei. Sie erzählte mir, dass ihm immer die Tränen gekommen seien, wenn er über den Krieg gesprochen habe. Er wollte niemanden töten. Er wurde am Bein und an der Schulter verwundet, entweder in Passchendaele oder an der Somme. Nachdem er das Saxofon hatte aufgeben müssen, wandte er sich der Geige und der Gitarre zu. Weil sich die Verwundung am Arm, seinem Bogenarm, verschlimmerte, sprach ihm ein Gericht pro Woche zehn Schilling Entschädigung zu. Gus
war eng mit Bobby Howes befreundet, einem berühmten Musical-Star in den Dreißigern. Sie waren zusammen im Krieg gewesen, hatten in der Offiziersmesse gearbeitet und waren dort auch als Komikerduo aufgetreten. Ihre Verpflegung war also besser gewesen als die eines gewöhnlichen Soldaten. Sagt jedenfalls Tante Marje.
    In den Fünfzigern hatte Gus eine Squaredance-Band, Gus Dupree and His Boys, und verdiente gut auf amerikanischen Luftwaffenstützpunkten, wo sie zum Hoedown aufspielten. Tagsüber arbeitete er in einer Fabrik in Islington, abends trat er auf, in Smoking und weißem Chemisett. Er spielte auf jüdischen Hochzeiten und Freimaurerfesten, von wo er im Geigenkasten oft Torten mit nach Hause brachte - daran erinnern sich alle meine Tanten. Er muss wohl knapp bei Kasse gewesen sein. Kleidung und Schuhe kaufte er sich zum Beispiel nie neu, sondern nur gebraucht.
    Warum aber war meine Großmutter so leidgeprüft? Mal abgesehen von den diversen Schwangerschaften im Laufe von dreiundzwanzig Jahren. Gus bereitete es großes Vergnügen, Emma beim Klavierspiel auf der Violine zu begleiten. Aber während des Krieges erwischte sie ihn dabei, wie er während einer Verdunkelung eine Luftschutzhelferin vögelte. Und auch noch auf dem Klavier. Das war noch schlimmer. Nie wieder spielte sie Klavier mit ihm. Das war der Preis. Sie war sehr starrköpfig - tatsächlich war sie ganz anders als Gus und nicht gewillt, sich auf sein künstlerisches Temperament einzulassen. Also verdonnerte er seine Töchter dazu, ihn zu begleiten, aber »es war nie wieder so wie vorher, Keith«, sagte er mir. »Nie wieder.« Bei den Geschichten, die er mir erzählte, hätte man glauben können, Emma wäre Arthur Rubinstein gewesen. »Es gab keine Bessere als Emma. Sie konnte einfach spielen.« Emma war seine große Liebe, und er sehnte sich nach diesen Zeiten zurück. Unglücklicherweise blieb das nicht sein einziger
Seitensprung. Es gab jede Menge kleiner Scharmützel und Streitereien. Gus war ein Aufreißer, und Emma hatte einfach die Schnauze voll.
    Gus und seine Familie waren für die damalige Zeit außergewöhnlich - sie waren so unkonventionell, wie man nur sein konnte. Gus ermunterte die Seinen zu Respektlosigkeit und Nonkonformismus, aber sie hatten es auch in den Genen. Irgendwie hatten sie alle künstlerische Neigungen - eine meiner Tanten mischte sogar bei einem Laientheater mit. Für die damalige Zeit war es eine freie Familie, sehr unviktorianisch. Und Gus war ein Mensch mit einem ganz eigenen Sinn für Humor. Wenn vier oder fünf Verehrer seiner Töchter zu Besuch waren und die Jungs

Weitere Kostenlose Bücher