Life - Richards, K: Life - Life
Jahren gestorben ist. Bill Bolton ist mit Joes Schwester verheiratet, es bleibt also alles in der Familie. Diese Jungs, mit denen ich durch dick und dünn gegangen bin, sind sehr wichtig für mich.
Aus irgendeinem Grund sind alle meine engeren Freunde irgendwann mal im Knast gelandet. Das war mir gar nicht klar, bis ich mal eine Aufstellung zu Gesicht bekam, auf der sie alle zusammen mit kurzen Lebensläufen gelistet waren. Was sagt uns das? Nichts - weil die Umstände immer verschieden waren. Bobby Keys ist der Einzige, den sie mehrmals ins Loch gesteckt haben, für Verbrechen, von denen er nicht mal wusste, dass er sie begangen hat - behauptet er zumindest. Wir halten zusammen, ich und mein dreckiger Haufen. Wir tun einfach, was wir wollen, ohne uns von der Scheiße da draußen belästigen zu lassen. Wir lieben »Die Abenteuer des Keith Richards«. Es wird sicher ein böses Ende mit uns nehmen, keine Frage. Wir sind wie Just William und seine Kumpels, die Helden meiner Kinderbuchtage. Roy zum Beispiel ist mit fünfzehn aus Stepney im Londoner East End abgehauen und hat auf einem Schiff angeheuert. Das will schon was heißen. Anfang der Sechziger war er Goldschmuggler. Ein Freigeist, unser Roy. Er kaufte sich Gold in der Schweiz, packte es in spezielle Futterale und schnallte es sich um die Unterhose. Vierzig Kilo. Und dann flog er in den Fernen Osten, nach Hongkong oder Bangkok, mit schweren 999er-Goldbarren von Johnson Matthey in der Hose. Eines Tages will Roy nach einem fünfundzwanzigstündigen Flug vor dem Hotel aus dem Taxi steigen, kommt aber wegen des Gewichts nicht mehr hoch. Die Portiers müssen ihm ins Hotel helfen. Einmal wurde er - aus anderen Gründen - in Bombay eingebuchtet, im berüchtigten Arthur-Road-Gefängnis, das in dem Buch Shantaram beschrieben wird. Keine Anklage,
kein Prozess: das Gesetz zur Verteidigung Indiens. Er brach aus. Er wollte Schauspieler werden und machte eine Zeit lang experimentelles Theater, deshalb wohl auch die Auftritte als Stand-up-Comedian im Mudd Club. Roy ist einer der witzigsten Typen, die ich kenne, und gelegentlich ging seine manische Energie mit ihm durch - und das war wirklich manische Energie! Keiner traut sich? Ich mach’s. Einmal im Mayflower Hotel bei einer Aftershow-Party mit jeder Menge Leute höre ich plötzlich, wie jemand ans Fenster klopft - im sechzehnten Stock. Ich schau raus, und da hängt Roy am Fensterbrett, klopft an die Scheibe und schreit: »Hilfe, Hilfe!« Unten fahren Streifenwagen vor, Passanten rufen. »Hey, da springt gleich einer.« Das ist nicht witzig, Roy. Schaff deinen Arsch hier rein. Er stand nur mit den Zehen auf einem sehr schmalen Backsteinsims. Es gibt Typen, denen sollte man das Leben verbieten.
Nach der’81er-Tour überredete ich Roy, sich Vollzeit um Marlon und Anita zu kümmern - eine seiner Aufgaben bestand darin, Marlon dazu zu bringen, zur Schule zu gehen. Nach der Europatour 1982 stieß Bert zu ihnen. Das war vielleicht eine Ménage à trois. Bert, Marlon und Roy in diesen Gatsby-Herrenhäusern plus Anita, die ständig ein und aus ging. Bert hielt Anita schlichtweg für verrückt. Und das stimmte ja auch, sie stand ziemlich neben sich. Sie machte einfach immer weiter und war in dieser Zeit wie von Sinnen. Sie waren wie eine Schiffscrew auf halber Heuer, die in einem riesigen, verlassenen Herrenhaus nach dem anderen strandete. Eine Mischung aus Harold Pinter und Scott F. Fitzgerald. Roy war ja tatsächlich Seemann gewesen. Bert und Marlon dagegen nicht; sie trieben ziellos in diesem fremden Land dahin - auch wenn Marlon das Leben in fremden Ländern gewöhnt war. Ihm war es eigentlich egal, wo er sich gerade aufhielt. Roy blieb von 1982 bis zu dessen Tod bei Bert. Sie wohnten in diesen
Häusern, während ich auf Tournee war. Ich schaute nur ab und zu kurz vorbei, um Hallo zu sagen. Ich sollte also besser Marlon von den schaurigen Abenteuern erzählen lassen, die sie während dieser verlorenen Jahre an der Küste Long Islands erlebten.
Marlon: Die schlimmste Zeit war meine Kindheit in New York, das Ende der siebziger Jahre eine beängstigende Stadt war. Das ganze Jahr 1980 über ging ich nicht in die Schule. Wir wohnten mitten in Manhattan im Alray Hotel, das gar nicht so schlecht war. Es war wie in dem Film Eloise at the Plaza . Wir gingen oft ins Kino. Anita nahm mich mit zu Andy Warhol und William Burroughs. Ich glaube, der hat in der Männerdusche vom Chelsea Hotel gewohnt. Alles war gefliest, und quer durchs Zimmer
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