Light Dragons
vielleicht hatte er ja das, was er gesehen hatte, falsch interpretiert.
»Was auch immer. Ich glaube, ich bringe jetzt mal meine Sachen in das Zimmer im Keller, das Gabriel mir geben wollte.«
Ich schaute ihn an. Sein rundes Gesicht war mir so lieb wie mein Leben. Es war ein Segen, dass nicht auch noch die Erinnerung an ihn ausgelöscht war. »Du wirst jetzt ins Bett gehen. Es ist schon sehr spät.«
»Ich bin neun, Sullivan, kein Baby«, erklärte er mit übertriebener Nachsicht.
»Geh ins Bett«, wiederholte ich.
Seufzend erhob er sich. An der Tür blieb er stehen und warf mir einen gequälten Blick zu. »Gabriel sagt, er wirft uns nicht hinaus, weil wir keine silbernen Drachen mehr sind. Er sagte, du wärst in die silberne Sippe hineingeboren worden, und darum würden sie dir ihre Ehrerbietung erweisen, auch wenn du einen schwarzen Drachen geheiratet hättest. Hast du Gareth schon gekannt, als du den Drachen geheiratet hast?«
Ich schloss die Augen und ließ den Kopf sinken. Am liebsten hätte ich geweint, geschrien und Brom erklärt, ich sei nur einmal in meinem Leben verheiratet gewesen und zwar mit seinem Vater. »Höchste Zeit, ins Bett zu gehen«, sagte ich jedoch nur und ging mit ihm in sein Zimmer. Als er im Bett lag, küsste ich ihn nicht nur einmal, sondern zu seinem Entsetzen ganze drei Mal und streichelte ihm noch zweimal über den Kopf. Offensichtlich kam Brom langsam in das Alter, wo man mütterliche Zuneigung nur äußerst gequält über sich ergehen lässt.
»Schlaf gut. Und wenn du etwas brauchst, kommst du zu mir«, sagte ich und verließ das Zimmer.
»Ich bin froh, dass du wieder okay bist«, sagte er, bevor ich die Tür schloss. »Penny hat ja gesagt, dass alles wieder in Ordnung kommt, aber ich habe mir schon Sorgen gemacht. Ich wusste ja nicht, dass sich May und Gabriel um dich kümmern. Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, du hast Glück, dass sie dich gefunden haben.«
Mir wurde ganz warm ums Herz. Er hatte sich tatsächlich Sorgen gemacht! »Glück?«
»Ja. Wenn dich nun einer der anderen Drachen gefunden hätte? Jemand, der nicht von deiner eigenen Gruppe gewesen wäre? Was wäre dann passiert?«
Ja, was wohl. »Schlaf jetzt«, sagte ich und blies ihm einen Kuss zu.
In meinem kleinen Zimmer war es still, als ich wieder dorthin zurückkehrte, aber das machte meine schreckliche Verwirrung nur noch schlimmer.
4
»Ich will nicht mit ihm gehen.«
Der Deckel meiner Truhe schloss sich mit einem endgültigen Knall, begleitet von unterdrücktem Weinen.
»Ich mag ihn nicht. Er ist arrogant«, fügte ich hinzu. Die Zofe meiner Mutter zurrte die Lederriemen um den Korb fest, damit er sich während der Fahrt nicht öffnete. »Auch wenn er viel besser küssen kann als Mark, der Sohn des Bierbrauers.«
»Er hat dich geküsst?« Meine Mutter trat in mein Blickfeld. Mit blassem, verkniffenem Gesicht blickte sie sich in meinem Zimmer um. Margaret saß auf dem Bett und weinte in ihren Ärmel.
Es machte mich traurig, dass ich sie verlassen musste, aber was mir am meisten zusetzte, war die Wut über den Aufruhr in meinem Leben. »Ja. Ich verstehe einfach nicht, warum ich mit ihm gehen muss.«
»Mama, kann sie nicht hierbleiben?«, bettelte Margaret und blickte uns aus rot geränderten Augen an.
Ich setzte mich neben sie aufs Bett und umarmte sie. Das Verhältnis zwischen Margaret und mir war manchmal recht turbulent gewesen, aber sie war meine einzige Schwester, und ich würde sie vermissen. Vor allem, da ich gegen meinen Willen von zu Hause wegmusste.
»Ich habe deiner Mutter versprochen …« Mama räusperte sich, bevor sie fortfuhr: »Ich habe derjenigen, die deine Mutter war, versprochen, dass ich dich aufziehen würde wie mein eigenes Kind. Das habe ich auch getan, aber sie hätte dich sicher nicht von deiner wahren Familie fernhalten wollen. Ich lasse dich nur ungern gehen, aber ich habe keine andere Wahl. Und Lord Baltic sagt, dir würde kein Leid geschehen. Von deiner Vergangenheit habe ich ihm nichts erzählt, und trotzdem hat er geschworen, dir würde nichts zustoßen. Das muss ich glauben.«
»Mir ist gleichgültig, was Baltic sagt«, murmelte ich und klammerte mich an Margaret. »Ich bin kein Tier.«
»Ich habe es dir doch erklärt, Liebes – Drachen nehmen ihre tierische Gestalt nicht sehr oft an. Sie ziehen es vor, in der Welt der Sterblichen in menschlicher Gestalt zu leben.« Sie wies die Dienstmädchen an, meine Reisekörbe hinunterzutragen. »Komm, Ysolde. Es ist
Weitere Kostenlose Bücher