Lila Black 01 - Willkommen in Otopia
dem Wind Einhalt gebieten könnte, sagte er. Diese Macht hat nur Dars Flöte, und selbst die vermag nicht so viel zu bewirken. Die Elementargeister bannen kann nur der, dem sie es erlauben. Keine Magie, nicht einmal wilde Magie, ist imstande, gegen ihren Willen über sie zu gebieten. Magische Kreise und Barrieren reichen nicht aus. Die Luft ist das neugierigste aller Elemente. Dieser Luftgeist steht im selbst gewählten Dienst der Herrin des Sees. Jetzt müssen wir abwarten, ob er so weit zufrieden ist, dass er uns passieren lässt. Er zögerte kurz. Ist das wirklich ein Kernreaktor?
Ja, sagte Lila, als Tath ihr aus freien Stücken ihren Körper wieder übergab; nur seine Andalun- Aura blieb noch entfaltet. Sie fuhr den Reaktor wieder auf Normalleistung herunter, und das letzte gelbe Alarm-Icon erlosch.
Lila fühlte, wie ihre Füße aufsetzten. Sie wurde schwerer, dann lastete ihr volles Gewicht auf dem Boden, und die Luftströme zogen sich zurück, umwehten noch einmal Dar und legten sich dann weitgehend. Sie wollte etwas sagen, sich entschuldigen, aber Dar wich ihrem Blick aus. Er wirkte seltsam gedämpft. Dann drehte er sich um.
»Die Zeit wird knapp«, sagte er.
Lila blickte zurück. Die Wände und die Decke der Kaverne schienen näher als vorher. Tatsächlich war der Hohlraum nicht mal mehr halb so groß wie eben, als sie über die Steine gegangen waren. Als sie wieder zur Halle des Feuers blickte, verengten sich die Öffnungen der anderen Tunnel und schlossen sich dann ganz. »Führen die irgendwohin?«
»Ich weiß nicht. Ich habe da wenig Hoffnung«, sagte er. Er sah auf die Flöte in seiner Hand und ließ sie dann fallen. »Vielleicht verschafft uns das ein wenig Zeit. Was ich an Macht habe, gebe ich hiermit zurück«, sagte er zu der Luft und trat dann fest auf die Flöte. Es knirschte, als er sie mit dem Fuß zermalmte.
Lila wusste auch ohne Taths Bestürzung, welch schmerzliches Opfer das war. Sie fühlte, wie Dars Andalun flüchtig ihre Fingerspitzen berührte, unbewusst, denn als Dar es merkte, wich er einen Schritt zurück. Die leisen Brisen um sie herum erstarben jetzt völlig. Die Wände und das Kavernendach kamen auf sie zu, in einer lautlos gleitenden Bewegung, die unter anderen Umständen sanft gewirkt hätte. Sie traten näher an die Halle des Feuers heran, so nah, wie sie irgend konnten, ohne Gefahr zu laufen, versehentlich die Barriere zu überqueren. Das Wassertor glitt auf sie zu. Die Decke sank auf sie herab, hielt aber auf Höhe der beiden Portale inne, sodass ihnen noch ein paar Zentimeter Luft über den Köpfen blieben.
»Ist das schon mal passiert?«, fragte sie.
»Nein«, sagte Dar. »Wir haben Pech.«
»Es muss doch einen Weg hier heraus geben.«
»Der einzige Weg führt durch die Halle des Feuers, aber die Luft hat dem Feuer mit Sicherheit schon gesagt, dass wir nicht vertrauenswürdig sind, also werden wir da nicht durchkommen. Es tut mir leid, dass ich dich nicht weiter hineinbringen konnte …«
Lila fasste Dar mit beiden Händen an der Jacke, zog ihn an sich und küsste ihn auf den Mund. Seine Lippen waren kalt. Die Wände glitten immer näher heran, die Welt schrumpfte. Kein Lüftchen regte sich. Dar löste sich von ihr, und sie sahen sich an. Sie brauchten keine Worte, um sich zu verständigen. Wenn das das Ende war, wollten sie nicht einfach tatenlos abtreten.
Lila erwog, den heiligsten Ort Alfheims durch eine Nuklearexplosion zu zerstören, sah dann aber den Pilz vor sich, die verheerenden Auswirkungen, die Destabilisierung der Membran zwischen den Dimensionen, die grässliche, endgültige Auseinandersprengung der Welten.
Dars Hände legten sich um ihren Kopf, als sie harten Stein im Rücken fühlte. Sein Kopf war neben dem ihren, als die heranrückenden Wände sie gegeneinanderpressten, zuerst sanft, dann mit entsetzlicher Unerbittlichkeit. Lilas KI spielte tausend Versuche durch, dem Druck zu entkommen, aber alle waren zum Scheitern verurteilt. Dars Haar berührte ihre Wange, und kleine Metallteile fraßen sich bereits in ihre Rippen. Sie wusste, sie würde als Letzte zerbrechen oder verbrennen. Sie küsste Dars Ohr, während ihnen die Wände die Luft aus dem Leib quetschten und das Wassertor sie erreichte und langsam auf den lauernden Schlund der Halle des Feuers zuschob.
Sie schützte Dars Arm mit ihrem Arm, sein Bein mit ihrem Bein. Ihr Ärmel passierte die Barriere als Erstes und ging sofort in Flammen auf. Der Schmerz war unbeschreiblich. Sie verkrampfte
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