Liliane Susewind – Delphine in Seenot (German Edition)
mulmig. Es war erst wenige Stunden her, dass sie beinahe ertrunken war.
»Alles in Ordnung?«, fragte Jesahja.
»Ja, schon gut«, erwiderte Lilli. Sie musste ihre Angst unbedingt überwinden, sonst würde sie die Delphine nie wiedersehen. Jesahja warf ihr einen aufmunternden Blick zu und streckte die Hand aus. Lilli zögerte nicht und nahm sie. Sobald Jesahjas Finger sich um die ihren schlossen, war es leichter, den Steg entlangzugehen. Hand in Hand marschierten sie bis zum Ende. Dort war Genovevas Boot festgemacht. Das Ruderbötchen, das den Namen Happy Hannelore trug, war grellbunt bemalt und mit zahllosen Smileys und Blumen verziert. An der Seite hing ein Fischernetz.
Sie kletterten über die Leiter in das schwankende Boot. Lilli wurde vom Schaukeln beinahe schlecht, doch sobald sie und Jesahja sich gesetzt hatten, beruhigten sich das Boot und ihr Magen. Jesahja griff nach den Paddeln und ruderte auf die offene See hinaus. Wäre er nicht dabei gewesen, wäre Lilli wahrscheinlich in Panik geraten, denn sie entfernten sich schnell vom Strand und der Pension. Doch Jesahja schien genau zu wissen, was er tat. Für eine Weile ruderte er mit kräftigen Zügen und zog die beiden Ruder dann ins Boot. Lilli fiel auf, wie still es war. Die See war spiegelglatt. In der Ferne lag Haus Ferienglück im Sonnenschein.
»Ruf die Delphine«, sagte Jesahja feierlich.
Lilli nickte und schürzte die Lippen. »Ihr Delphine!«, rief sie mit lauter Stimme. »Ich rufe euch!«
Gespannt hielten Jesahja und Lilli den Atem an. Doch nichts geschah. Die Minuten verstrichen, ohne dass sich irgendetwas im Meer regte.
Plötzlich schwamm ein ganzer Schwarm von Fischen heran.
»Da! Seelachse!«, rief Jesahja und wies auf das Gewusel im Meer. Die Seelachse, Hunderte an der Zahl, umkreisten immer wieder das Boot. Lilli sah, dass neben den Lachsen mehrere Robben schwammen. Eine von ihnen grölte einer anderen zu: »Hat dieses Mädchen uns gerufen?«
»Falsch verbunden«, bemerkte Jesahja.
Lilli erklärte den Lachsen und Robben, dass sie nicht sie, sondern die Delphine gerufen hatte. Die Tiere zeterten ein wenig, denn sie wollten Lilli gern kennenlernen, schwammen dann aber davon.
Die Delphine zeigten sich nicht. Lilli kaute enttäuscht auf ihrer Unterlippe herum und fand sich schon mit dem Gedanken ab, dass sie sich wohl nicht in der Nähe aufhielten, als Jesahja sie anstieß und mit der Hand auf etwas deutete. Einige Meter entfernt tauchte aus der glatten Wasseroberfläche die Rückenfinne eines Tiers auf und steuerte in schnellem Tempo auf sie zu.
»Ist das …« Lilli verschlug es die Sprache.
»Es könnte auch ein Hai sein«, murmelte Jesahja tonlos.
Lilli rutschte das Herz in die Hose. Ein Hai? War das möglich? Wahrscheinlich war es das. Wenn es Delphine in der Nordsee gab, konnten auch gefährliche Haie hier leben …
Doch da kam das Tier an die Oberfläche. Der freundliche runde Kopf mit den aufwärts gerichteten, lächelnden Mundwinkeln war nicht zu verwechseln. Es war ein Delphin.
Jesahja blieb die Spucke weg. »Wahnsinn …«, krächzte er.
Der Delphin stieß ein helles Keckern hervor, das sich für Jesahja wie fröhliches Gelächter anhören musste. Doch Lilli verstand: »Leute, seht euch das an! Das Menschenmädchen ist wieder da!«
Im nächsten Augenblick sprangen zwei weitere Delphine im hohen Bogen aus dem Wasser und stießen dabei schnelle Pfeiflaute aus. »Da ist sie wieder! Sie hat überlebt!«, quietschte der eine. »Hab ich euch doch gesagt! Del-Super-Phin hat sie gerettet!«, pfiff der andere. Das war eindeutig Fitz, der kleine Rabauke, der sich für einen Superhelden hielt. Das Wiedersehen mit Lilli schien ihn regelrecht in Hochstimmung zu versetzen, denn er reckte sich senkrecht aus dem Wasser und tanzte auf seiner Schwanzflosse über die aufschäumende Gischt. Dabei schlug er heftig mit den Flossen und jauchzte: »Ich bin ein Held! Yippieh! Komm, Onkel Pfank, mach mit!« Ein älterer Delphin schloss sich ihm daraufhin an und tanzte ebenfalls auf der Schwanzflosse, während die anderen Tiere um sie herumsprangen, übermütig klickerten und keckerten, untertauchten, wieder auftauchten und beim Ausatmen durch ihr Blasloch pulverige Wasserfontänen in die Luft schossen.
Jesahja schnappte nach Luft. »Das sind große Tümmler . Echte Delphine!«
Es waren insgesamt fünf Tiere, eine kleine Delphinschule , wie Lilli wusste. So nannte man Gruppen von Delphinen. Das Leittier der Delphinschule, Fitz’ Mutter,
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