Liliane Susewind – Delphine in Seenot (German Edition)
das zu merken. Das war falsch.« Sie sah Lilli zerknirscht an. »Weißt du, ich … ich war gestresst.«
Lilli lächelte schief. »Was ist mit den Gänseblümchen?«
»Gänseblümchen?«, wiederholte ihre Mutter fragend. Dann begriff sie und lachte. »Ich glaube, ich brauche noch viel mehr Gänseblümchen, um mal wirklich abzuschalten.«
Lilli lachte. »Das ist kein Problem. Ich sorge dafür, dass eine ganze Gänseblümchenwiese vor der Pension wächst!«
Ihre Mutter wurde wieder ernst. »Sieh mal, Lilli, genau das ist das Problem. Es geht wirklich nicht, dass alle Welt von deinen Fähigkeiten erfährt.«
Lilli blieb das Lachen im Halse stecken.
»Es tut mir wirklich sehr leid«, beteuerte ihre Mutter eindringlich. »Ich weiß, wie schwer es für dich ist.«
Lilli senkte den Blick. »Als die Möwen deine Papiere gerettet haben, war ich dir nicht peinlich«, sagte sie kaum hörbar.
»Du bist mir niemals peinlich, Lilli!« Frau Susewind atmete geräuschvoll durch. »Ich bin dir sehr dankbar für die Sache mit den Möwen. Das heißt aber nicht, dass du und Jesahja herumposaunen dürft, was du kannst!« Sie warf Wubke Onneken, die Jesahja mittlerweile wieder interviewte, einen besorgten Blick zu. »Wenn die Presse von dir erfährt, geht deine Geschichte durch alle Medien, und mein Name wird mit in die Sache hineingezogen.« Sie legte Lilli die Hand auf die Schulter. »Lilli, meine Karriere steht auf dem Spiel! Eine seriöse Fernsehmoderatorin darf einfach nichts mit übersinnlichen Dingen zu tun haben!«
Lilli starrte auf ihre Schnürsenkel.
»Hör zu, Lilli: Ich verspreche dir, in Zukunft mehr mit dir zu unternehmen. Ich nehme mir Zeit für dich und lasse die Arbeit auch mal Arbeit sein. Ehrenwort! Aber bitte kein Wort über deine Gabe zu irgendwem. In Ordnung?«
Lilli nickte in Zeitlupe, drehte sich um und ging zu den anderen zurück, ohne sich zu verabschieden. Als sie sich noch einmal umsah, war ihre Mutter bereits wieder verschwunden.
»Wo warst du? Da drüben ist der Bürgermeister!«, rief Jesahja und wies auf den großen, dunkelhaarigen Mann, der von vielen Demonstranten umringt war und jede Menge Hände zu schütteln hatte.
»Alfonso Albertini«, flüsterte Feline und sah den eindrucksvollen Mann bewundernd an. »Er stammt aus Italien«, erklärte sie Lilli.
»Er ist wirklich sehr attraktiv«, murmelte Genoveva und zupfte an ihren Blümchen-Zöpfen herum.
Wubke Onneken von Radio Deichreich sagte leichthin: »Soll ich Ihnen Herrn Albertini vorstellen? Ich kenne ihn schon lange.«
Feline und Genoveva tauschten einen aufgeregten Blick. »Gerne!«, riefen sie im Chor.
»Ich hole ihn.« Frau Onneken kämpfte sich durch die Menschenmenge. Wenig später kam sie mit dem Bürgermeister zurück, und Feline und Genoveva schnappten ehrfürchtig nach Luft.
»Herr Albertini, das ist Jesahja Sturmwagner, der Junge, der die Idee zu der Demonstration hatte«, stellte die Radioredakteurin Jesahja vor.
»Und wir sind seine Freunde«, säuselte Genoveva strahlend und streckte dem Bürgermeister ihre Hand entgegen.
Herr Albertini schüttelte sie und betrachtete die große Frau in der goldenen Robe interessiert. Dann wandte er sich Jesahja zu. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, junger Mann.«
»Wir sind froh, dass der Lärm auf dem Meer nun ein Ende hat – zumindest vor der Küste dieses Ortes«, stellte Jesahja in erwachsenem Ton fest.
»Das war schon lange ein Problem, über das ich bereits mehrmals mit dem Stadtrat gesprochen hatte«, verriet der Bürgermeister. »Aber erst Ihre Demonstration hat den Rat aufgerüttelt und ihn dazu gezwungen, etwas zu unternehmen. Motorboote und Jet-Skis können wirklich sehr schädlich für die Umwelt sein. Ich selbst bevorzuge Segelschiffe. Die verbrauchen keinen Treibstoff und machen keinen Lärm.«
»Besitzen Sie denn ein Segelschiff?«, hakte Genoveva neugierig nach.
»Ja, meine Aventura ist mein Ein und Alles«, bestätigte Herr Albertini und lächelte Genoveva charmant an. »Schon am Samstag stechen meine Crew und ich wieder damit in See. Wir wollen zu den norwegischen Fjorden segeln.«
Lilli hörte dem Bürgermeister zu und fand die Unterhaltung nur mäßig interessant. Doch als sie einen Blick auf Jesahja warf, wurde ihr klar, dass Herr Albertini gerade irgendetwas gesagt haben musste, das von enormer Bedeutung war. Jesahjas Gedanken schienen sich zu überschlagen, denn er kratzte sich hektisch am Hinterkopf. Das tat er immer, wenn er angestrengt
Weitere Kostenlose Bücher