Liliane Susewind – Delphine in Seenot (German Edition)
tonlos.
Lilli hielt die Luft an.
»Wissen Sie … unsere Tochter ist so etwas wie eine Tier-Dolmetscherin«, erklärte er und warf seiner Frau einen resignierten Blick zu.
Die Demonstration
»Papa, wie lange noch?«, fragte Lilli zum wohl hundertsten Mal.
»Noch dreißig Minuten«, kam die Antwort.
Lilli spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Nur noch eine halbe Stunde bis zur Demonstration!
»Soll ich dir Zöpfe flechten?«, fragte Genoveva und strich lächelnd über Lillis Haar. Die große blonde Frau trug an diesem Tag eine goldene, wallende Robe, und in ihren Zöpfen steckten blaue Blümchen.
»Nein, vielen Dank«, wehrte Lilli freundlich ab. Natürlich war sie sehr froh darüber, dass Genoveva offenbar kein Problem mit ihrer besonderen Begabung hatte und sie genauso behandelte wie zuvor. Dennoch wollte Lilli nicht mit Blümchen-Zöpfen bei der Demonstration erscheinen.
Den ganzen Tag über waren im Radio Berichte über die Delphine und die geplante Demonstration gesendet worden, und an diesem Morgen hatte sogar ein Artikel in der Tageszeitung gestanden. Lilli fragte sich, wie viele Menschen wohl teilnehmen würden, und hoffte, dass ihr Protest tatsächlich etwas bewirken konnte.
»Soll ich dir eine Blume auf die Stirn malen?«, fragte Genoveva nun strahlend, doch bevor Lilli antworten konnte, erschien Jesahja im Türrahmen. »Können wir jetzt losfahren?«, fragte er ungeduldig.
Herr Susewind stand auf und reckte spielerisch die Faust in die Luft. »Ja, lasst uns protestieren gehen!«
»Ja, los geht’s!«, fiel Lillis Oma ein und betrachtete zufrieden die selbstgemalten Schriftzüge auf ihren T-Shirts: Für das Meer muss Ruhe her!
»Kommt Mama auch mit?«, fragte Lilli zaghaft.
Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist damit beschäftigt, die verwischte Schrift auf den Blättern, die gestern ins Meer gefallen sind, zu entziffern.« Er seufzte. »Aber sie sagt, es tut ihr leid, dass sie nicht kommen kann.«
Lilli schnitt eine Grimasse. Die Möwen hatten ihrer Mutter tags zuvor zwar ihre wertvollen Papiere zurückgebracht, und ihre Mutter war auch sehr dankbar dafür gewesen. Aber das bedeutete offenbar noch lange nicht, dass Frau Susewind mal für eine Weile damit aufhörte, wie besessen an ihrem Konzept zu arbeiten. Lilli verbannte den Gedanken an ihre Mutter aus dem Kopf und folgte Jesahja und den anderen zum Wagen.
Kurze Zeit später standen sie auf der Promenade des Urlaubsortes und betrachteten staunend das bunte Treiben, das dort herrschte: Zahllose Menschen hatten sich eingefunden – Hunderte von Demonstranten! Sie marschierten die Straße entlang und riefen immer wieder laut im Chor: »Schützt die Nordsee, stoppt den Lärm!« Dabei schwenkten sie beschriftete Fahnen, Plakate und Transparente, auf denen zu lesen war Weg mit den Jet-Skis! und Helft den Delphinen!
Lilli konnte kaum fassen, dass all diese Menschen hergekommen waren, um sich für die Nordseetiere einzusetzen. Das war weitaus mehr, als sie gehofft hatte. Übermütig stieß sie einen kleinen Jubelschrei aus, und Jesahja grinste.
»Lilli, du bist fröhlich!«, bellte Bonsai, der um sie herumtrippelte und begeistert mit dem Schwanz wedelte. Auf seinem Rücken war ein kleines Transparent befestigt. Immer schön leise schwimmen! konnte man da lesen.
Auf Felines Schoß thronte mit erhabener Miene Frau von Schmidt, die ein kleines Schild um den zierlichen Hals trug. Darauf stand: Die Nordsee muss weg .
Lilli hatte die beiden Tiere zuvor gefragt, ob sie auch Schilder tragen wollten und was sie darauf schreiben sollte. Frau von Schmidt sah nicht ein, dass sie sich bei dem »allgemeinen, albernen Aufruhr« für das »Wasserwiesenungetüm« und die »Nicht-Fisch-Herrschaften« einsetzen sollte. Lilli ließ sie gewähren, da man das winzige Schild um ihren Hals sowieso kaum lesen konnte. Das wusste Frau von Schmidt natürlich nicht.
»Welch skandalöser Krawall!«, maunzte die Katze nun und blickte sich angewidert um. »Ich hoffe, mein Schild wird all diesen Banausen eine Lehre sein!« Lilli machte eine entschuldigende Geste, sagte aber nichts.
Jesahja sah auf die Uhr. »In einer halben Stunde treffen wir uns vor dem Rathaus mit der Radioreporterin, die uns interviewen möchte. Bis dahin können wir ja mitdemonstrieren.«
Sie schlossen sich dem Marsch der Demonstranten an und riefen gemeinsam mit ihnen die Parolen zum Schutz der See. Lilli schielte immer wieder aufs Meer hinaus, in der Hoffnung, die Delphine zu
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