Liliane Susewind – Ein kleines Reh allein im Schnee (German Edition)
Fläschchen. »Dachte ich es mir doch«, sagte sie schmunzelnd. »Belladonna D6 Globuli. Perfekt. Und nun nimm noch einmal Kontakt zu der Belladonna auf«, bat sie Lilli.
»Warum?«
Die alte Frau blickte Lilli tief in die Augen, und Lilli spürte, dass ihre Knie nun noch stärker zitterten. Wilhelmine schien noch etwas ganz Bestimmtes mit ihr vorzuhaben.
Sie nahm Lillis Hand und sagte: »Du musst die Heilpflanzen-Essenz in diesen Kügelchen bitten, ihre volle Kraft zu entfalten und Jesahja zu heilen.«
Lilli starrte Wilhelmine ungläubig an. »Das …«, stammelte sie heiser. »Das wäre ja …« Mit einem Mal wurde ihr bewusst, was Wilhelmine damit sagen wollte. Konnte es sein? War es möglich, dass Lilli die Kräuter nur bitten musste, besonders wirksam zu sein, damit sich ihre Heilkraft verstärkte?
»Ja.« Auf Wilhelmines faltigem Gesicht zeichnete sich nun ebenfalls Aufregung ab. »Das wäre … eine ziemlich große Sache.«
Lilli spürte ihre Knie kaum noch und hatte das Gefühl, als würde sie jeden Moment umfallen. Dennoch legte sie nun die bebenden Hände um das kleine braune Fläschchen und schloss wieder die Augen. Liebe Belladonna , dachte sie flehentlich. Bitte mach Jesahja wieder gesund. Ich weiß, dass du es kannst. Ich zähle auf dich!
Lilli öffnete die Augen.
»Hat es geklappt?«, fragte Wilhelmine.
In diesem Augenblick kam Lillis Vater mit Reena in den Laden. Moritz ging neben ihm und streichelte das Reh mit hochkonzentrierter Miene, als hinge das Leben des Tieres von seiner Berührung ab.
Lillis Vater legte Reena vorsichtig auf den Boden, dann wandte er sich Wilhelmine zu. »Haben Sie die Belladonna-Globuli für Jesahja?«
»Hier sind sie«, sagte die alte Frau, nahm Lilli das Fläschchen mit einem kleinen Zwinkern aus der Hand und ging zu Jesahja hinüber. Mit geübter Hand steckte sie ihm die kleinen Kügelchen in den Mund.
Nachdem dies geschehen war, atmete Lillis Vater erleichtert auf. »Es wird wahrscheinlich eine Weile dauern, bis sich eine Wirkung zeigt.« Er seufzte. »Nun zu Reena.«
Wilhelmine warf Lilli einen vielsagenden Blick zu. »Liliane, holst du Reenas Medizin?«
Lilli nickte. Dann drehte sie sich um, schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Kräuter. Schon nach wenigen Augenblicken wusste sie, zu welcher Seite sie sich wenden musste, und griff mit blinder Sicherheit ins Regal. Als sie die Augen wieder öffnete, hielt sie einen runden Behälter in der Hand. Darin schwammen Blüten in einer Flüssigkeit, und auf einem aufgeklebten Etikett stand in Schnörkelschrift: Hirschwundkraut-Tinktur.
Lilli lächelte aufgeregt und bat die Hirschwundkraut-Blüten in Gedanken, Reena schnellstmöglich zu heilen. Dann lief sie zu ihrem Vater, der neben Reena kniete. Er hatte gerade den Verband und die Schiene entfernt und betrachtete mit besorgtem Gesichtsausdruck Reenas Wunde. Sie war rot und geschwollen und sah ganz und gar nicht gut aus.
»Hier.« Lilli reichte ihm den Behälter.
»Sehr gut«, erwiderte ihr Vater nach einem Blick auf das Etikett und nahm ein kleines Tuch zur Hand, das Wilhelmine ihm zuvor gereicht hatte. Sorgfältig träufelte er die Tinktur auf das Tuch und rieb Reenas Wunde damit ein.
»Gib ihr auch etwas davon zu trinken!«, schlug Lilli vor. Sie hatte das Gefühl, dies könne helfen.
»Du hast recht.« Ihr Vater lächelte. »In der Überlieferung heißt es ja schließlich, die Hirsche hätten die Kräuter gefressen …« Behutsam flößte er Reena etwas von der Flüssigkeit ein.
Als dies erledigt war, lehnte er sich mit müdem Gesicht zurück. »Alles, was wir jetzt tun können, ist warten«, sagte er. »Es dauert wahrscheinlich einige Zeit, bis –«
Da hörten sie eine Stimme. »Wo … bin ich?«
Lilli sprang wie elektrisiert auf. Jesahja saß aufrecht auf der Liege! Er war aufgewacht!
Mit verwirrtem Gesichtsausdruck rieb Jesahja sich die Schläfen. »Was ist los?«, fragte er und schaute sich verdutzt um. »Hab ich geschlafen?«
Lilli war mit drei großen Schritten bei ihm und drückte ihn stürmisch an sich. Jesahja schien kaum zu wissen, wie ihm geschah.
Da war ihr Vater schon neben ihr und legte Jesahja die Hand auf die Stirn. »Das gibt es doch gar nicht!«, rief er überrascht. »Dein Fieber ist … weg!«
»Fieber?«, wiederholte Jesahja. »Ich hatte Fieber?« Er streckte wie zum Test die Arme und Beine. »Eigentlich fühl ich mich ganz gut …«
»Nicht zu fassen!«, stieß Herr Susewind hervor und staunte Jesahja mit
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