Liliane Susewind – Rückt dem Wolf nicht auf den Pelz! (German Edition)
gegrübelt, denn als Lilli aufwachte, hatte er tiefe dunkle Ringe unter den Augen.
Zum Glück gab es in dem kleinen Wohnwagen auch ein Klo. Als Lilli aus dem engen Toilettenräumchen zurückkam, saß Jesahja am Tisch und hatte den Kopf in die Hände gestützt. »Meine Eltern machen sich bestimmt tierische Sorgen …«
Lilli setzte sich zu ihm. »Ich muss auch die ganze Zeit an meine Eltern denken«, sagte sie, und bei dem Gedanken an zu Hause zog sich alles in ihr zusammen. »Mein Papa ist bestimmt halb verrückt vor Angst. Und meine Mutter …« Lilli bemühte sich, nicht wieder anzufangen zu weinen. »Meine Mutter hat mir immer wieder gesagt, dass ich das Grundstück nicht allein verlassen soll.«
»Manchmal sind wir echt zu leichtsinnig.« Jesahja ließ seinen Kopf noch tiefer in die Hände sinken.
Plötzlich hopste Frau von Schmidt mit empörtem Gesicht auf den Tisch. »Würde mich bitte jemand informieren, wieso wir uns an diesem gänzlich glanzlosen Ort befinden?«, verlangte sie zu wissen. »Hier entspricht rein gar nichts meiner Vorstellung von einem kultivierten Aufenthalt!«, zeterte sie. »Das Mobiliar ist völlig verlottert! Und in der Luft liegt ein grässlicher Muff!«
Lilli seufzte erleichtert. Wenn die Katze sich schon wieder beschweren konnte, ging es ihr gut.
»Hey, Schmidti!« Bonsais Kopf tauchte am anderen Ende der Tischplatte auf. »Wieder alles fit bei dir?« Er hüpfte auf den Tisch, tippelte heran und schlabberte die Katze überschwänglich ab.
Lilli musste die herzliche Begrüßung der Tiere unterbrechen. »Wir sind entführt worden«, erklärte sie.
»Supi!«, kläffte Bonsai begeistert.
Lilli starrte ihn sprachlos an.
»Entführen ist wie ausführen, oder?«, fragte der Hund und schien unsicher zu werden. »Also … Gassi gehen?«
»Nein! Entführen heißt, jemand hat uns gegen unseren Willen hierhergebracht.«
»Wie bitte?!«, quiekte Frau von Schmidt und wackelte ungläubig mit dem Kopf. »Das ist absolut unangemessen für eine selbstbestimmte Schnurrdame wie mich!« Erzürnt legte sie die Ohren an. »Ich werde nicht einfach so entführt! Das hat keinen Stil!«
»Wer hat das gemacht? Die Sackgesichter?«, wollte Bonsai wissen. »Wieso haben die uns entführt?«
Das hielt Lilli für eine sehr gute Frage.
Im gleichen Augenblick öffnete sich auf einmal die Tür des Wohnwagens. Lilli stockte der Atem. Sie sah, wie Jesahja sich versteifte und seine Hände sich vor Anspannung um einen Zipfel der alten Tischdecke krampften.
Ein großer, dicker Mann trat ein. Er trug einen piekfeinen Anzug und hatte kleine, stechende Augen. Auf seinen schmalen Lippen lag ein Lächeln. Dieses Lächeln schien jedoch eigenartig unpassend, als gehöre es nicht dorthin.
»Ihr seid wach! Das ist gut«, begrüßte er sie in freundlichem Ton.
Da brummte Bonsai: »Wer ist das? Der gefällt mir nicht. Soll ich den kurz und klein bellen?«
In diesem Moment hielt Lilli das allerdings für keine gute Idee mehr. Aber sie antwortete dem Hund nicht, denn sie brachte keinen Ton heraus.
Als der Mann Bonsai brummen hörte, blickte er rasch zu Lilli und sagte warnend: »Der Hund sollte mich besser nicht anfallen!«
Lilli starrte schweigend zurück.
Plötzlich lachte der Mann. »Na ja, so dumm seid ihr bestimmt nicht.« Sein Gelächter klang so spitz, als hätte es viele kleine Stacheln. »Habt ihr Hunger?«, fragte er und betrachtete sie mit einem offenbar fürsorglich gemeinten Lächeln. Lilli erwiderte sein Lächeln nicht. Hunger hatte sie allerdings durchaus …
Da knurrte ihr Magen lautstark.
Der Mann lachte abermals und nickte ihnen zu, als seien sie gute Freunde. »Alles klar! Dann bringen wir euch lieber mal Frühstück.« Er trat zur Tür hinaus und rief: »Die Kinder brauchen was zu essen!«
Lilli und Jesahja saßen bewegungslos da. Auch die Tiere beobachteten den Mann nur mit großen Augen.
Gleich darauf kam er zurück. In der Hand hielt er ein Tablett mit Toast, Butter, Marmelade und zwei Bechern mit dampfendem Kakao. Selbst Näpfe mit Futter und Wasser waren dabei! Der Mann stellte das Tablett auf dem Tisch ab und setzte sich zu ihnen. »Greift zu!«, forderte er sie auf.
Lilli und Jesahja rührten sich nicht. Bonsai pirschte sich jedoch vorsichtig an das Tablett heran, schnupperte an einem der Näpfe und begann zu fressen. Lilli hätte ihm das am liebsten verboten, aber das traute sie sich nicht.
»So ist es gut«, lobte der Mann und tätschelte Bonsai den Rücken.
Bonsai zuckte
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