M A S H 02 - in der Heimat
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Wendell Black, Chefchirurg des USVA–Spitals in Spruce Harbor, Maine, war leicht verblüfft. Mit der Morgenpost war die Bewerbung eines Chirurgen eingetroffen, der am College für Medizin und Chirurgie praktiziert hatte und ein Diplom der Kammer amerikanischer Chirurgen besaß. Dieser Mann war Anfang Vierzig, hatte eine gutgehende Privatpraxis geführt und etwas Geld geerbt. Nun strebte er eine Stellung an, die ihm ein abwechslungsreiches Betätigungsfeld ohne kommerzielle Ablenkungen bot. Außerdem betonte der Chirurg, daß ihn die Aussicht auf eine Vierzig–Stunden–Woche fasziniere. Er sei begeisterter Skifahrer, Segler und Golfspieler. Spruce Harbor in Maine schien ihm jener Ort zu sein, in dem sich seine beruflichen Ambitionen mit seinen Freizeitwünschen vereinbaren ließen.
Im Bundesstaate Maine geschieht nichts so, wie man es von anderswo gewöhnt ist. Maines einzige Veterans Administration–Anstalt , die Fürsorgeverwaltung für Kriegsteilnehmer, bildete dabei keine Ausnahme. Deshalb holte Dr. Black die Ansicht seines besten Ratgebers ein, Mr. Jocko Allcocks.
»Würden Sie Mr. Allcock sagen, daß ich ihn so bald wie möglich sprechen möchte?« sagte Dr. Black zu seiner Sekretärin, Mrs. Ames.
Mrs. Ames kannte dieses Spiel bereits von früher, hielt sich aber immer strikt an die Regeln.
»Mr. Allcock?« fragte sie daher.
»Jawohl, Mrs. Ames. Mr. Allcock, wenn Sie die Freundlichkeit hätten.«
»Ach so, Doktor. Sie meinen Jocko!«
Mr. Jocko Allcock befand sich am untersten Ende der chirurgischen Sprossenleiter von Spruce Harbor, an deren Spitze Dr. Black thronte. Jockos ständig gerötetes breites Gesicht mit der stumpfen Nase saß auf einem muskelbepackten Körper von einem Meter achtzig, dessen zweihundertzwanzig Pfund sich langsam in Fett verwandelten. Er war es, der die Kranken vom Zimmer in den Operationssaal brachte, sie auf den Tisch legte, sie später wieder herunterhob und entweder zurück aufs Zimmer oder in die Leichenkammer schob. Überdies war Jocko der Buchmacher des Krankenhauses. Bei ihm wurden Wetten über den Ausgang schwieriger Operationen abgeschlossen, und dieses Nebeneinkommen war höher als sein Gehalt. Mr. Allcock war dem Chefchirurgen aufgefallen, weil ein Patient mit bevorstehender Magenresektion entdeckte, daß Jocko 4 zu 1 gegen ihn gewettet hatte. Der Patient war darüber zwar bestürzt, wollte aber trotzdem auch setzen. Erst als Jocko Vorauszahlung von ihm verlangte, ließ der Kranke die Sache auffliegen. Jocko hatte ihm treuherzig versichert, daß er ihm seinen Gewinn natürlich auszahlen würde, falls es wider Erwarten noch dazu käme, andererseits aber könnte er sich nicht um seinen Einsatz prellen lassen, denn für dieses Lotto stünde schließlich die Regierung nicht gut.
Nach dem Krach söhnte sich Dr. Black mit Jocko aus. Er entwickelte sogar eine richtige Schwäche für Jocko. Seiner Meinung nach waren er, Jocko und höchstens noch der Chef der Internen die hellsten Köpfe des VA–Krankenhauses von Spruce Harbor.
Dr. Black brauchte keinen zusätzlichen Chirurgen. Da er mit dem Schreiben des Bewerbers nichts anzufangen wußte, beschloß er, sich mit Jocko Allcock zu beraten. Am Spätvormittag jenes sonnigen Tages im Mai 1954 saß Dr. Black an seinem Schreibtisch, las die Fachzeitschrift für Chirurgie und schielte zwischendurch immer wieder zu den blühenden Bäumen und Inseln der Penobscot Bay. Seine Studien und Träumereien wurden von Mr. Allcock unterbrochen, der sagte: »He, Boß, Sie wollten mich sprechen?«
»Ach ja, Mr. Allcock, kommen Sie rein. Tasse Kaffee?«
»Klar, Boß. Sagen Sie, haben Sie eine Kippe?«
»Hm . . . äh .. . natürlich. Irgendwo dürften Zigaretten liegen.«
»In der obersten Schublade, Boß«, klärte Jocko ihn auf.
»Richtig. Hoffentlich mögen Sie die mit Mundstück.«
»Nur keine Umstände, Boß. Also, wo fehlt’s denn?«
»Lesen Sie das«, sagte Dr. Blade und reichte Jocko die Bewerbung des Chirurgen.
»Was halten Sie davon, Mr. Allcock?« fragte er, nachdem er Jocko reichlich Zeit gelassen hatte, den Brief zu lesen und zu verstehen.
»Den Burschen dürfen Sie sich nicht entgehen lassen. Er ist nicht alt, hat die entsprechende Ausbildung, kann von seiner Privatordination leben und will trotzdem arbeiten. Wenn auch nicht zu viel. Was haben Sie denn hier? Nichts als Nieten oder Nachtschwärmer, die ihre Praxiszeiten für die Zulassung als Facharzt schinden und verduften, sobald sie den ersten Blauen auf der Bank
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