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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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antwortete Amelie kichernd. »Vielleicht kommt zu unserem Urzeit-Geysir auch noch ein Dinosaurier?«
    Lukas warf den Motor an und wendete das Boot. Amelie
und Sabrina setzten sich auf die Rückbank. Der Fahrtwind war so kalt, dass Sabrina wieder anfing zu zittern.
    Amelie legte ihr den Arm um die Schulter. »Du kommst mit zu mir nach Hause und ziehst dir was Trockenes an.«
    Eng aneinandergeschmiegt erreichten sie den verwaisten Fähranleger. Lukas half ihr von Bord.
    »Danke«, sagte Sabrina.
    »Bitte sehr. Grüß deine Mutter. Hab gehört, ihr habt jetzt den Weinberg. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute damit.«
    Wieder wunderte sich Sabrina, wie höflich und zuvorkommend er sein konnte.
    Amelies Arm dagegen hielt er fest. »Also was ist nun mit heute Abend?«
    »Weiß ich noch nicht«, antwortete sie.
    Jeder andere hätte das genau so verstanden, wie es gemeint war: als eine Absage. Aber Lukas war eben nicht wie alle anderen.
    »Dann bis später«, sagte er, stieg zurück in sein Boot und brauste davon.
    »Er kapiert es nicht«, sagte Amelie und sah ihm hinterher. »Er kapiert es einfach nicht.«

VIER
    Amelies Eltern wohnten im Waldviertel von Andernach, in das sich selten Touristen verirrten. Mehrstöckige, nicht mehr ganz taufrische Mietshäuser prägten das Bild. Dazwischen verdorrten lieblos angelegte Vorgärten, durch die Hunde und Kinder streunten. Die Fürsorge ihnen gegenüber wurde auch genau in dieser Reihenfolge erteilt. An der Ecke befand sich ein Wirtshaus, »Zur Sonne«, aber Sabrina bezweifelte, dass durch die braunen Butzenscheiben und die vergilbten Gardinen jemals auch nur ein Lichtstrahl nach innen gedrungen war. Die Tür stand offen, und an Amelies schnellem Schritt merkte sie, dass sie so schnell wie möglich vorbei wollte, ohne einen Blick hineinzuwerfen. Ihr Vater saß oft schon ab mittags am Tresen.
    Amelies Eltern waren nette, aber irgendwie hilflose Leute. Ihr Vater, Wilfried Bogner, war ein schmächtiger Mann mit unruhigen Augen in einem raubvogelhaften Gesicht. Er hatte eine Vorliebe für verschossene Unterhemden und war schon seit Jahren arbeitslos. Immer wenn Sabrina ihn traf, versuchte er sich dafür zu rechtfertigen und fand dabei eine Menge Gründe, warum es mit ihm und gleichzeitig auch mit diesem Land so schieflief, denn beides hing für ihn irgendwie zusammen. Mal waren es die Polen, die den Deutschen die Arbeitsplätze wegnahmen, mal »die da oben«, die sich immer nur die Taschen vollstopften, dann wieder die Bimsbarone auf dem Martinsberg, für die der Tagebau nicht mehr lukrativ genug war, weshalb im Hafen kaum noch Schiffe lagen. Früher hatte er dort gearbeitet, aber auch wenn er sich gerne als ehemaliger Hafenmeister sah – so weit hatte er es nie gebracht.
    Amelies Mutter Wanda war unglaublich dick. Sogar ihre Finger sahen aus wie rosige Würstchen. Alles an ihr war rund
und prall wie ein zum Platzen aufgeblasener Luftballon. Die einzige Ähnlichkeit mit ihrer Tochter bestand darin, dass sie die gleichen lockigen Haare hatte. Im Gegensatz zu Amelie, die ihre Mähne sorgfältig hegte, pflegte und auf Überschulterlänge gezüchtet hatte, waren die Haare ihrer Mutter aber kurz und merkwürdig strubbelig. Sabrina glaubte, dass sie sie selbst schnitt, denn Wanda Bogner verließ die Wohnung so gut wie gar nicht. Sie saß schon am frühen Vormittag vor dem Fernseher, ein rosiger, sacht wogender Berg, der alles Wichtige in greifbarer Nähe um sich herum geschichtet hatte. Das Allerwichtigste war die Fernbedienung. Wanda ließ sich von Wiederholungen, Mittagsmagazinen, Gerichtssoaps und Gewinnspielen durch den Tag treiben, schaffte es aber immer auf geheimnisvollen Wegen, genug Essbares im Haus zu haben.
    Auch an diesem Tag empfing die beiden Mädchen das hysterische Geschrei eines inszenierten Rechtsstreits schon in dem Moment, in dem sie die kleine Drei-Zimmer-Wohnung betraten.
    »Sabrina ist da!«, rief Amelie, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
    Wanda saß im Wohnzimmer, das viel zu klein war für die Polstersitzgruppe und die schwere Anbauwand aus besseren Zeiten. Ein riesiger Bildschirm verzerrte das Gesicht einer jungen Frau, die tränenüberströmt ein Geständnis ablegte, das von dem aufgestachelten Publikum im Gerichtssaal mit niederträchtigem Zischen und Zwischenrufen unterbrochen wurde.
    Wanda griff zur Fernbedienung und stellte den Ton leiser. Sie schnaufte ein bisschen wegen der Anstrengung, strahlte aber über ihr ganzes, rundes Gesicht. »Hallo, meine

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