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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Amelie das Ding wohl verbuddelt hatte? Sie nahm es in die Hand und rechnete nicht im Leben damit, etwas anderes zu finden als hingekritzelte Buntstiftzeichnungen, mit denen sie Amelie gehörig aufziehen konnte.
    Doch die Seiten waren beschrieben. Ziemlich viele sogar, fast bis zu Hälfte. Mit kleiner, ordentlicher Schrift und einem Datum oben auf der zufällig aufgeschlagenen Seite, das keine zwei Wochen her war.
    »… weiß nicht, was ich davon halten soll. Es ist anders als sonst. Wie er mich anschaut, ist es fast schon …«
    Sabrina klappte das Buch zu. Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Schnüffeln war gar nicht ihre Art. Sie schämte sich, dass sie das Buch überhaupt beachtet hatte, und legte es wieder genau so zurück, wie sie es gefunden hatte. Amelie schrieb Tagebuch über ihre geheimsten Gefühle. Dass sie dafür eine kitschige Kleinmädchenkladde benutzte, lag wohl daran, dass sie sich kein neues Buch leisten konnte und dieses Ding wohl noch in irgendeiner Schublade gebunkert hatte. Sabrina schwor sich, nie ein Wort darüber zu verlieren. Sie
griff ihre Sachen, stopfte sie in die große Messenger-Bag zu ihrem nassen Bikini, rief Frau Bogner, die bereits bei der nächsten Talkshow gelandet war, noch einen kurzen Abschiedsgruß zu und rannte im Treppenhaus die Stufen so schnell hinunter, als wäre sie es, die befürchten müsste, zu spät zu kommen.

FÜNF
    Um sich die Zeit zu vertreiben, schlenderte Sabrina durch die Altstadt von Andernach. Sie liebte die uralten Häuser, diese stummen Zeugen vergangener Zeiten. Die einen klein und schief, die anderen groß und herrschaftlich. Die Geschäfte rund um den Marktplatz lagen in einer Fußgängerzone, in der an diesem sonnigen Nachmittag ein großes Gedränge herrschte. Vor dem Schaufenster einer Bekleidungs-Ladenkette, die sich auf billige, junge Mode für eine Saison spezialisiert hatte, stand ihre Ex-Klassenkameradin Janine. Wie immer war sie umringt von einer Hand voll Freundinnen, die um sie herumschwirrten wie aufgescheuchte Satelliten, um ja nichts von Janines Urteil über die Kombinationen im Schaufenster zu verpassen. Sabrina bemerkte sie zu spät, um ihr noch auszuweichen. Sie war um die Ecke gebogen und mitten in die Gruppe hineingeplatzt.
    »Hi, Sabrina!«, sagte Janine betont lässig. »Hat dich deine Freundin Amelie so auf die Menschheit losgelassen?«
    Einige Mädchen kicherten. Sabrina zuckte mit den Schultern und betrachtete interessiert ein besonders schrilles Outfit in der Dekoration.
    »Ich würde nie was von der anziehen. Man weiß ja nie, wer das alles schon in den Fingern gehabt hat.«
    Janine hielt sich für so etwas wie eine Trendsetterin. Sie war einen halben Kopf größer als Sabrina, etwas kräftiger und hatte ein rundes Gesicht mit einer spitzen Nase, was für sich betrachtet natürlich nichts Schlimmes war. Sie wäre ein hübsches Mädchen gewesen, wenn sie nicht von allem irgendwie zu viel gewesen wäre. Eine dicke Schicht Make-up bedeckte ihre Haut, die leicht zu Unreinheiten neigte. Die Lippen waren breit, und sie betonte sie mit einer grellen
Farbe, die ihrem Mund etwas Vulgäres verlieh. Schwerer Lidstrich umrahmte ihre kleinen Augen wie schwarze Balken. Sie hatte die Angewohnheit, sich mit Ketten, Ringen, Armbändern und Reifen zu behängen, dass es klirrte und klimperte, sobald sie sich bewegte. Ihre Jeans war eine Nummer zu eng, eine kleine Speckrolle quoll über dem Bund hervor, und an ihrem Arm trug sie eine nietenbeschlagene, weiße Knautschlacktasche. Es war das Zeug, das in Fußgängerzonen als »Youth Style« oder »Mega Trendy« angeboten wurde.
    Amelies Stil und Janines Plastikmode trennten Welten. Sabrina hatte nichts gegen Janine, sie dachte an sie weder im guten noch im bösen Sinne. Janine war einfach jemand, den man im Unterricht ertrug und um den man danach einen Bogen machte, weil aus ihrem Mund sowieso immer nur Blödsinn kam. Aber an diesem Tag schien sie besonders angriffslustig zu sein. Vermutlich lag es daran, dass sie sich außerhalb des Schulgeländes bewegten.
    Sabrina, die wusste, dass sie es zumindest verbal jederzeit mit Janine aufnehmen konnte, entschied sich für eine gemäßigte Rückgabe der Beleidigung. »Ich glaube, die Sachen von Amelie wären auch nichts für dich.« Sie warf einen prüfenden Blick auf Janines Taille. »Welche Kleidergröße hast du noch mal?«
    Janine lief rot an. »Achtunddreißig«, zischte sie.
    »Vor zwei Jahren oder vor vier?«
    »Ach«, schnaubte Janine,

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