Lilienrupfer
stünde unter keinem guten Stern.
Nein, ich wollte keine Melancholie einkehren lassen, aber glaub mir, Robbie, sie wäre an diesem Abend nicht draußen geblieben, sie hätte sich auf unsere Brustkörbe gesetzt und die Leichtigkeit darin erstickt. Ich sah keinen Grund, nicht einen einzigen, eins gegen das andere zu tauschen.
Gute Nacht
wünscht Dir
Undine
***
Ich schickte die E-Mail ab und starrte noch eine Weile auf den Bildschirm. Mein Kopf war plötzlich wie ausgehöhlt, und ich wusste nichts mit mir anzufangen. Einen Moment lang überlegte ich, Julia anzurufen, aber im Grunde war mir nicht danach, mit jemandem zu sprechen. Ich lief ziellos durch die Wohnung, schnappte mir schließlich die Fernsehzeitschrift, doch nichts interessierte mich. Es war kurz vor elf. Ich könnte ins Bett gehen und schlafen. Ich löschte die Lichter in der Wohnung, ging ins Schlafzimmer und öffnete die Fenster. Ein paar Minuten lang blickte ich hinaus in den klaren Sternenhimmel, roch den Duft der Sommernacht und fühlte plötzlich eine wilde Sehnsucht nach etwas, das ich nicht bestimmen konnte. Aber sie drang durch jede Pore und griff mir direkt ans Herz. Unwillig schüttelte ich den Kopf. Ich wollte nicht weich und sentimental werden. Nicht wegen eines bisschen Sternengefunkels und duftender Luft. Ich rieb mir die Augen und machte mich daran, das Bett frisch zu beziehen, als das Telefon klingelte.
»Störe ich? Schläfst du schon?«
»Nein. Ich bin noch wach.«
»Ich wollte dich noch mal hören, bevor ich ins Bett gehe.«
»…«
»Undine?«
»Ja?«
»Ich bin sehr froh, dass ich dir begegnet bin.«
»Jetzt muss ich lächeln.«
»Ja, ich kann es hören. Diese Geschichte heute, die hat nichts zwischen uns geändert, oder?«
»Nur, dass ich mich dir ein kleines Stückchen näher fühle.«
»Das ist gut. Schlaf jetzt schön.
»Ja. Du auch.«
***
Drei Tage später rief Julia am Morgen an und sagte, sie wäre zur Premiere nicht da. Sie brauche Ferien und habe beschlossen, sich für die nächsten drei Wochen in ihr Häuschen in der Toskana zurückzuziehen.
»Du hast ein Haus in der Toskana?«, fragte ich entgeistert.
»Natürlich. Es gehört mir seit meiner Scheidung.« Sie lachte. »Mein Mann behielt die Münchner Wohnung, und ich bekam das Häuschen. Puppenhäuschen könnte man sagen. Es hat gerade mal vier winzige Zimmer, Küche und Bad. Ich lass dir die Adresse und die Telefonnummer hier. Für den Fall, dass etwas sein sollte.«
»Was sollte denn sein? Franz wird dich vermissen und enttäuscht sein, dass du seinen großen Abend verpasst.«
»Gott, ja«, meinte sie leichthin. »Er wird es verkraften. Er ist ein großer starker Mann. Außerdem läuft das Stück für die nächsten drei Monate, genügend Zeit also, um es sich anzusehen.«
»Ich bewundere deine Unabhängigkeit«, antwortete ich und ärgerte mich gleichzeitig. Es war auch mein großer Tag, wir alle hatten dafür geschuftet, und ausgerechnet Julia, die die ganze Zeit den Kontakt zu mir gesucht hatte,spazierte an diesem Tag davon, wie eine Katze, die ihr Schälchen Milch ausgetrunken hatte und jetzt satt war.
»Sei nicht sauer«, schien sie meine Gedanken zu lesen. »Du hast doch deinen Lilienrupfer, und ich bin sicher, einen ganzen Haufen anderer Freunde. Du wirst meine Abwesenheit nicht einmal bemerken.«
»Fährst du allein?«, fragte ich einer plötzlichen Eingebung folgend.
»Nicht für die ganze Zeit.« Sie räusperte sich und beließ es bei dieser Andeutung. »Ich melde mich, sobald ich angekommen bin. Soll ich dir irgendetwas mitbringen?«
»Ja. Alles, was gut schmeckt und sich bequem transportieren lässt. Eine Flasche Vino Nobile auf jeden Fall.«
»Das mach ich. Und hier jetzt erst mal die Adresse.« Sie diktierte mir den Namen eines Ortes in der Nähe von Montepulciano und gab mir die Telefonnummer. »Du siehst, ich bin nicht aus der Welt. Für dich ohnehin nicht.«
»Warten wir mal ab. Wann fährst du?«
»Morgen früh. Gegen fünf.«
»Schade, da werden wir es nicht mehr schaffen, uns vorher noch zu sehen.«
»Nein, wohl nicht. Aber ich bin ja bald wieder da. Und grüß mir deinen Lilienrupfer.«
»Mach ich«, erwiderte ich noch immer gekränkt, und dann legten wir auf.
***
Julia behielt natürlich recht. Ich hatte keine Zeit, sie zu vermissen. Die Premiere stand vor der Tür, seit Mittwoch hetzten wir mit zwei bis drei Durchläufen täglich durch die Zeit, füllten sie dazwischen mit Kostümproben, Bühnenbildaufbau,weiteren
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