obere Schicht dieses Zauberdachs, das ich über uns gesehen hatte, langsam löste. Eigentlich kannte ich diesen Mann gar nicht. Er könnte alles sein.
Er steuerte den Wagen an den Straßenrand und stoppte plötzlich.
»Undine …« Seine Augen sahen mich fast bittend an.
»Ja?«
»Ich … Willst du das Fahrrad heute noch kaufen?«
Fast hätte ich gelacht. »Ich weiß nicht.«
»Du willst wissen, was los war mit ihr, mit Isolde. Stimmt’s?«
»…ja.«
»Sollen wir zu mir fahren? Ich habe noch Weißwein im Kühlschrank.«
Ich überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Lieber nicht.« Ich zögerte. »Sei mir nicht böse, aber neutralen Boden fände ich im Augenblick einfach besser.«
Er sah mich lange an. »Verstehe. Ist gut.«
Ich blickte geradeaus und sagte nicht mehr viel, bis wir in der kleinen Bar am Ende der Straße Platz genommen hatten.
***
Datum: 25. Mai 2007 22.00 Uhr
Von:
[email protected] An:
[email protected] Betreff: Christian und Isolde
Hey,
ein ziemlich müdes »Hey«. Eins, bei dem man sich erst die Augen, dann die Nasenwurzel reibt, weil der Kopf voll ist mit Gedanken, die man lieber nicht gedacht hätte.
Weißt Du, Robbie, es kam auch schon früher vor, dass ich mit Ereignissen konfrontiert wurde, die nicht zu den glückseligen meines Daseins gehörten, aber ich ließ mich von ihnen nicht allzu schnell ins Bockshorn jagen. Ich wusste noch nicht um ihre Konsequenzen. Leichten Herzens sah ich einfach zu und wartete ab, was passieren würde. Angst oder Kummer fühlte ich erst dann, wenn aus einer leisen Ahnung dröhnende Wahrheit geworden war. Heute, wo ich mit einem Schrankkoffer voller Erfahrungen und Einsichten unterwegs bin, halten sich Misstrauen und Furcht nicht mehr zurück. Ein kleiner Anlass nur und schon stehen sie drohend parat. Es ist ein Dilemma. Auf der einen Seite schützen sie so vor neuem Kummer, auf der anderen verhindern sie, Neuem furchtlos und ohne Vorurteil zu begegnen, bis man irgendwann auf der Stelle tritt und resigniert.
Ich klinge ein bisschen melancholisch, ich weiß. Ich neige nun mal dazu, den Dingen auf ihren dramatischen Grund zu gehen. Und dann ist es, als hätte ich einen Knopf für Traurigkeit, den ich bei Bedarf einschalten kann.
Robbie, Du Ärmster. Wie oft musstest Du schon meine psychologisch-philosophischen Ergüsse ertragen, ohne zu wissen, wovon ich überhaupt rede. Ich spreche von Isolde. Genauer gesagt: von Christian und Isolde.
Wir sind ihr heute begegnet, per Zufall auf der Straße, und hätte man diesem Treffen eine Farbe geben wollen, es hätte schwarz sein müssen.
Mir war danach nicht mehr nach Fahrradkaufen, wie ursprünglich geplant. Viel lieber wollte ich allein sein, aber gleichzeitig auch herausfinden, was zwischen Christian und dieser Frau geschehen war, und so blieb ich doch bei ihm.
Wir gingen die Straße hinunter in eine Bar und nahmen abseits der anderen Gäste in einer der Nischen Platz. Es dauerte, bis Christian ins Gespräch fand. Die Art, wie eran seinem Weinglas herumspielte, sein Blick, der unstet im Raum umherwanderte, zeigte, wie unbehaglich er sich fühlte.
Ich schwieg. Es fiel mir nichts zu sagen ein, und um mich begeistert zu den Vorschlägen auf der Cocktailkarte zu äußern, war es nicht ganz der richtige Augenblick.
Schließlich ließ er das Glas los und holte Luft. »Vor ungefähr drei Jahren habe ich diese Frau getroffen. Wir haben uns ineinander verliebt und sind nach ein paar Monaten zusammengezogen.«
»Isolde?«, fragte ich.
»Nein, nicht Isolde. Susanne. Sie heißt Susanne. Ich habe sie gesehen und war von der ersten Sekunde an verliebt, voller Begeisterung. Aber je näher wir uns kamen, je besser ich sie kannte, je mehr sie mir bedeutete, desto beängstigender wurde alles für mich.« Er hielt inne und nahm einen Schluck Wein, während seine Augen mich prüfend musterten. Ich gab den Blick zurück, blieb aber stumm. Schließlich fuhr er fort. »Ich weiß, es klingt verrückt, wenn ich von beängstigend spreche. Ich hätte schlicht glücklich sein sollen, was ich auch war, doch gleichzeitig hatte ich dieses bohrende Misstrauen im Gepäck. Ich habe es selbst nicht verstanden. Ziemlich bald schon hatte ich das Gefühl, ich bräuchte sie mehr als siemich, und begann mich davor zu fürchten, sie könne eines Tages gehen.« Wieder stockte er und sah mich an, als warte er auf eine Bemerkung von mir. Aber was hätte ich sagen sollen? Dieses Gefühl erlebte jeder einmal.