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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
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Textänderungen hier und da, hielten Milan, so gut es ging, im Zaum und fielen meistens erst spätnachts in die Betten.
    Die Einladungen an die Presse waren raus, ebenso die an ein paar prominente Gesichter, die selbst schon im ARENA gespielt hatten und uns die Treue hielten. Die Cateringfirma war beauftragt, ebenso das Putzgeschwader und die Dekorateurin unseres Blumenladens, die das Foyer für die Premierenfeier herrichten würden. Die Druckerei hatte versprochen, die Programmhefte pünktlich bis Dienstag zu liefern, und für Franz lagen alle Sonderwunschrequisiten parat. Wir alle waren aufgeregt und vorfreudig, schliefen wenig und redeten viel.
    Christian sah ich fast überhaupt nicht, aber wir telefonierten und plänkelten per SMS.   Am Samstag kam er, bevor ich um elf bei den Proben sein musste, auf einen Sprung zum Frühstück vorbei und brachte zu meiner Freude, neben Eiern, Semmeln und Käse, frische, fluffige Rosinenbrötchen mit, die er genauso gern wie ich nach Franzosenart in eine große Schale Milchkaffee tunkte.
    Es fiel mir schwer, ihn an diesem Morgen gehen zu lassen. Unsere Küsse wurden immer hungriger, die Lust, sich gegenseitig Knöpfe und Reißverschlüsse aufzureißen, um die Haut darunter zu spüren, immer größer. Aber es wäre unser erstes Mal,
unsere
Premiere. Nein, da durfte es nichts Eilig-Gieriges zwischen Tür und Angel sein, etwas, bei dem man hinterher nicht wusste, wo man hingucken sollte, und allzu hastig in die Kleider und durch die Haare fuhr. Ich rutschte also von Christians Schoß, zog mein Kleid über den Hüften glatt, küsste ihn dabei wieder und wieder und versuchte, mir in diesem Augenblick nicht vorzustellen, wie es sein würde, wenn ich bliebe.
     
    In der Nacht vor der Generalprobe träumte ich zum zweiten Mal von Axel Milberg.
    Wir trafen uns in einem Hotelzimmer. Das weiß ich, weil wir das Bitte-Nicht-Stören-Schild nach draußen hängten. Dann setzten wir uns auf die Couch, und gerade als wir dabei waren, uns richtig füreinander zu erwärmen, wurde die Tür aufgerissen, und Christian stürmte herein.
    »Lehn dein Gesicht einfach an meine Schulter«, flüsterte Axel Milberg in mein Ohr, »dann erkennt er dich nicht«, und ich befolgte seinen Rat. Vergeblich, wie sich gleich herausstellte, denn Christian sprang um uns herum wie Rumpelstilzchen um das Feuer und schrie dabei mit hoher Stimme: »Ich hab’s doch gewusst. Ich hab’s doch von Anfang an gewusst. Du betrügst mich! Du betrügst mich! Eine wie die andere!«
    Es war grässlich, ich zitterte vor schlechtem Gewissen und Angst. Christian beruhigte sich gar nicht mehr, sondern schrie und sprang weiter um uns herum. Irgendwann erwachte ich, noch immer zitternd, mein Gesicht ins Kopfkissen gedrückt. Warum träumte ich so etwas?
    ***
    Montagabend. Generalprobe.
    Und plötzlich war es still im Theater. Die Schauspieler schlüpften in ihre Kostüme, schminkten sich die Gesichter und befanden sich in einem Stadium vibrierender Anspannung. Ronnys Gesicht unter dem Make-up war blass, seine Augen blickten starr in eine unbekannte Ferne. Genau wie er war auch Sonja mit einem Mal verstummt, nur hin und wieder platzte sie ohne erkennbaren Grund mit einem lauten Lachen heraus und irritierte uns damit. Valeria,klein, üppig und zum ersten Mal als Dulcy in einer Hauptrolle auf der Bühne, stöckelte mit stolz erhobenem Kopf und dem Hüftschwung einer Bette Middler durch die Gänge, und ich sagte mir, dass sie für diesen Versuch eines Täuschungsmanövers mindestens den Bambi verdient hatte. Es war unübersehbar, dass sie im tiefsten Inneren um Nerven aus Stahl flehte. Nur Milan schien nichts an sich heranzulassen. Er sah wie immer göttlich aus und verströmte sagenhafte, kalte Arroganz. Heinrich führte stille Dialoge mit seinem Eselskopf.
    Als es losging, saß Franz ganz in Schwarz auf seinem Stammplatz. Die Arme fest um seinen vornübergebeugten Oberkörper geschlungen, wiegte er sich wie ein Autist hin und her, während sein Blick gänzlich von der Bühne aufgesogen wurde. Ich wusste, dass dies der Moment war, wo er sich dafür verwünschte, Regisseur zu sein, wo er jeden, der einen braven Bürojob erledigte und jetzt voller Vorfreude aufs Abendessen nach Hause stapfte, heiß beneidete, wo er plötzlich all seine Ideen anzweifelte, sich schwitzend fragte, ob die Kritiker zu blasiert sein würden, um sein Verständnis von Witz und Tragik zu teilen.
    Der Abend der Generalprobe war der, an dem alle – Regisseur,

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