Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
Vom Netzwerk:
die sich mit Verbalerotik brüsten, weil sie glauben, somit aufregend und verführerisch zu sein. Ich glaube das nämlich nicht. Nicht für einen Mann, wie ich ihn mir vorstelle.
    Über was dachte ich da überhaupt nach? Ich hatte zig dieser E-Mails abgeschickt, ohne dass es mich interessierte, ob sie überhaupt irgendwo landeten. Nicht, dass es plötzlich von Bedeutung für mich war, aber nachdem nie eine Antwort gekommen war, vermutete ich sie im Nirwana des Internets, allerhöchstens an irgendeiner stillgelegten Adresse. Es war ja auch egal.
     
    Ich sah auf die Uhr. Inzwischen war es acht. Ich wollte um elf im Theater sein, um noch ein bisschen Schreibkram zu erledigen. Danach musste ich zum Marienplatz, um das Kleid abzuholen, das ich bei Ludwig Beck hatte zurückhängen lassen. Aber zuerst einmal lagen drei freie Stunden vor mir. Drei Stunden, in denen ich zwar nicht schlafen würde, aber in denen ich die Augen schließen konnte, um die letzte Nacht, sooft ich wollte, noch einmal zu erleben.
    Ich öffnete die Balkontür, ließ Fliederduft vom Hinterhof herein und ging in die Dusche. Danach nahm ich mir eine dünne Decke, legte mich damit auf die Couch und reiste zurück in die letzte Nacht.
     
    Mit diesem dahingeflüsterten »Ich will endlich mit dir schlafen« hatte ich mich in eine blöde Situation gebracht. Nicht, dass ich es plötzlich nicht mehr gewollt hätte, aber für mein Empfinden hatte mich dieser Satz in die Position der Macherin gerückt und vielleicht erwartete Christian, dass es so weiterging. Sah er mich bereits als Verführerin, lasziv, provozierend, mit kreisenden Hüften, aufgeworfenen Lippen und einem »Jetzt bist du dran, mein Süßer« in den gefährlich schmalen Augen? Oder würde er es als Aufforderung verstehen, sich auf mich zu stürzen, sobald wir seine Wohnung betraten, mir die Kleider herunterzureißenund etwas Lustentfesseltes zu inszenieren, neben dem ›Der letzte Tango‹ wie das Tänzchen einer Seniorengruppe aussehen würde?
    Bloß nicht, dachte ich, als wir die Treppen zu seiner Wohnung hinaufstiegen. Wenn’s so weit kommt, dann fange ich entweder zu lachen an oder ich haue einfach ab.
    Es kam nicht so weit.
    »Willst du dich erst einmal umsehen?«, fragte Christian, nachdem er Licht angeknipst und mir den Mantel abgenommen hatte. Ich nickte. Ich hatte mich schon häufig gefragt, wie seine Wohnung wohl aussehen würde. Bücher, war mein erster Eindruck. Bücher überall. Im Vorübergehen entdeckte ich Martin Suter, Gianrico Carofiglio, Rolf Dobelli, Leon de Winter, Haruki Murakami, John Fowles und natürlich Tolstoi. Ich kannte fast alle und freute mich, sie in Christians Regal zu sehen.
    Ich ging durch die übrigen Zimmer, fand ein paar schöne alte Möbelstücke vor, natürlich auch Ikea und zwei, drei Designerteile. Es gefiel mir. Am schönsten fand ich den roten Samtsessel in Form einer Blüte. Auf einem riesigen Schreibtisch lag die angefangene Übersetzung des neuen Romans eines englischen Schriftstellers. Ich las die ersten beiden Seiten und wandte mich dann Christian zu.
    »Das liest sich schön.«
    »Ich schenk dir eins, sobald es herausgekommen ist.« Er küsste mich in den Nacken. »Wein? Roten oder weißen?«
    »Weißen, wenn er kalt ist.«
    »Knallkalt.«
    Er ging hinaus in die Küche und kam nach ein paar Minuten mit zwei beschlagenen Gläsern zurück.
    »Kalt genug?«, fragte er, nachdem ich genippt hatte.
    »Ja. Sehr gut.«
    Sekundenlang sahen wir uns an. Plötzlich fehlten uns die Worte.
    Bis ich schließlich meine Hand auf seine Wange legte.
    »Es war ein langer Tag. Ich würde gern noch duschen. Hast du ein Handtuch für mich?«
    »Natürlich«, sagte er und nahm mich an der Hand. »Komm mit.«
     
    Nachdem er mir Handtuch und Waschlappen gegeben hatte, ließ er mich allein. Ich atmete durch und sah mich um, registrierte all die Dinge, die ihm gehörten. Zahnbürste und Rasierpinsel, ein großes Badetuch, frische Seife und Shampoo. Auf dem Badewannenrand die gesamte Lurchi-Sammlung aus den Siebzigern. Selbstverständlichkeiten, die ihn tagtäglich umgaben. Nur ich war fremd.
    Ich duschte lange, als bäte ich insgeheim um Aufschub. Es lagen nur eine Tür und der Flur zwischen Christian und mir, ein kurzer Weg, nur ein paar Schritte. Im Augenblick bedeuteten sie alles.
     
    Als ich ins Schlafzimmer kam, stand er neben dem Bett, auf dem Nachttisch leuchtete ein Lämpchen.
    »Weiß steht dir gut«, sagte er, als er mich sah und über ein Stückchen Handtuch

Weitere Kostenlose Bücher