Lilienrupfer
er – schneller als ich – wieder das Wort ergriff.
»Ich weiß, es war dumm und kindisch, es Susanne heimzahlen zu wollen. Sie war zurückgekommen, ich hätte es gut sein lassen sollen. Mein Kopf wusste längst Bescheid, aber hier drinnen«, er zeigte auf eine Stellezwischen Herz und Magen, »hier war ich nicht damit fertig. Es klingt wahrscheinlich erbärmlich, wenn ich sage, ich wollte mich rächen. Aber genau das war es.« Seine Miene spiegelte jungenhafte Hilflosigkeit, seine Stimme klang zerknirscht und bettelte um Verständnis, aber gleichzeitig war seine Wut deutlich zu spüren. Ich hatte nicht den Eindruck, als hätte er Susanne inzwischen vergeben.
»Und dann«, fuhr er fort, »war ich eines Abends mit ein paar Freunden unterwegs, wir zogen durch verschiedene Bars und in der letzten, es war schon ziemlich spät, traf ich Isolde. Sie war nicht allein, aber wir hatten sofort Blickkontakt. Sie sah immer wieder zu mir her. Und ich – du hast sie ja gesehen, sie ist eine anziehende Frau – machte mit. Das ging eine Weile so, bis ich mir zwei Werbebroschüren schnappte, die an der Theke herumlagen. In die eine schrieb ich meine Telefonnummer hinein und ging anschließend zu ihr an den Tisch. Ich tat so, als gehöre ich zum Personal, machte ein bisschen Werbung für das Lokal, wobei ich Isolde den Prospekt mit meiner Nummer zuschob und dem Mann den anderen. Dann verabschiedete ich mich wieder, und als die beiden irgendwann gingen und Isolde sich noch einmal nach mir umdrehte, hob ich den Daumen. Es war merkwürdig, ich wusste genau, sie würde sich melden.«
Er erzählte mir die Geschichte ohne Unterbrechung, fast atemlos.
Mein Blick klebte an ihm, in meinem Kopf herrschte ein wildes Durcheinander, ehrlich gesagt, sein Verhalten und seine Worte stießen mich ab. Aber so wollte ich nicht denken. Ich war nicht dabei gewesen und wollte weder wertennoch urteilen. Bloß keine Schere im Kopf, erinnerst Du Dich, Robbie? Aber so einfach war es nicht.
»Und dann?«, hörte ich mich schließlich leise fragen. »Was war, nachdem sich Isolde bei dir gemeldet hatte?«
»Wir trafen uns und gingen ins Bett.«
»Und dieser andere Mann aus der Bar. Wer war er?«
»Ihr Mann.«
»Er war ihr Mann?«
»Die beiden waren verheiratet, ja. Aber ich wollte nicht mit ihr zusammensein. Es war ein Spiel für mich. Bei Isolde, verstehst du? Susanne hingegen …« Er hob die Schultern. »…sie bedeutete mir alles. Aber was hatte ich erwartet? Unsere Beziehung war kaputt, wir trennten uns. Ich bin wahrhaftig nicht stolz auf das, was ich getan habe. Ich habe zwei Menschen sehr wehgetan.«
»Wie lange ging das mit Isolde?«
»Zwei, drei Monate.«
»Und ihre Ehe?«
»Ging auseinander.«
Wir schwiegen. Die Gläser vor uns waren leer.
»Sie hatte sich in dich verliebt, nicht wahr? Für sie ging es um mehr, ja?«
»Ja.«
»Und du?«
»Ich mochte sie, aber es lag mir nichts an ihr.«
»Strickland war hassenswert, aber ich glaube trotzdem, dass er groß war.« Es war dieser Satz aus Maughams ›Silbermond und Kupfermünze‹, der mir in diesem Augenblick als Erstes einfiel.
Nicht, dass ich Christian hassenswert fand, aber das, was er dieser Frau, Isolde, angetan hatte, war abstoßend,egoistisch und durchaus hassenswert. Und doch war all das, was er mir jetzt zeigte, wie er vor mir saß, die Reue im Blick, seine fahrigen Gesten, all seine Leidensfähigkeit, die er durch diese Geschichte offenbart hatte, sein Charme und Humor, sein Lachen – all das ließ ihn auch »groß« für mich sein. Das Schlechte schließt das Gute nicht aus, beides kann nebeneinander im selben Menschen existieren– oder wie Franz es schlichter zu sagen beliebt: Wo viel Licht ist, fällt viel Schatten.
Paradox. Während ein Teil von mir am liebsten die Flucht ergriffen hätte, wollte der andere nichts mehr, als sich an diesen Mann zu schmiegen. In keinem anderen Augenblick war die Sehnsucht, mit ihm zu schlafen, so groß gewesen. Ich kann noch nicht einmal sagen, was an ihm so anziehend auf mich wirkte, das Gute oder das Schlechte. Wahrscheinlich war es beides. Diese gefährlich-schöne Mischung.
Wie Du siehst, Robbie, habe ich es nicht getan. Ich säße sonst nicht hier, um Dir zu schreiben? Und glaub mir: Es war alles andere als leicht. Ich stelle nur selten die Vernunft über das Gefühl, ich lasse mich meistens treiben. Aber heute nicht, denn irgendeine innere Stimme sagte mir, dass es nicht richtig wäre an diesem Abend. Das Ganze
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