Lilienrupfer
sein wird.
Ganz herzliche Grüße aus Rochester
schickt Ihnen
Ihre
Rebecca Williams 1
***
Ich blinzelte. Schloss meinen Mund, dann die E-Mail , öffnete sie wieder, las sie noch einmal und blinzelte wieder. Der Text war noch immer derselbe. Ich träumte also nicht, doch dieser Brief, all diese freundlichen Worte in ihrer Verkettung standen mir zu sehr unter dem Verdacht, Bestandteil einer romantischen T V-Komödie zu sein als des wahren Lebens.
Verwirrt stand ich auf, ging ans Fenster und beobachtete die Schneeflocken, die sich still auf Straßen, Bäume und Autos legten. In der Küche trank ich einen Schluck Wasser, strich dann hinaus in den Flur und nahm den Telefonhörer ab, nur um ihn gleich darauf wieder hinzulegen, und landete schließlich im Bad, wo ich ratlos in den Spiegel starrte. Anschließend setzte ich mich wieder an den PC, las das Ganze noch einmal und kam zum selben Ergebnis wie vorher: Ich war überwältigt. Mehr als das – die Sätze wollten einfach nicht in meinen Kopf.
Als ginge es darum, dem Brief aus Rochester eine reale Grundlage zu bescheren, klickte ich schließlich herum, bis ich die erste meiner damaligen E-Mails an Robbie gefunden hatte. Ich überflog sie und klickte weiter, bis ich zu jenen kam, in denen ich von Christian erzählte. Ihr froher Ton stimmte mich wehmütig, denn noch immer, nach all diesen Monaten, fühlte ich mich wie ein frühlingstaume-liger Vogel, der an einer Fensterscheibe abgeprallt war.
Zweifellos gehöre ich zu denen, die Zeit brauchen, um ihre Wunden zu lecken, und da mag es durchaus sein, dass ich in vielerlei Hinsicht zäh beschaffen bin, in der Liebe bin ich es nicht. Zu jenen Frauen, die von einem alten Glück sanft und übergangslos in ein neues gleiten, habe ich nie gehört. Ich habe immer meine Zeit gebraucht, um überdas eine Elend hinwegzukommen, bevor ich in das nächste geriet.
Seit der Geschichte mit Christian hatte ich mich wie ein krankes Tier verkrochen. Natürlich sah ich Till, Julia und Franz oder traf mich mit Freundinnen zum Kaffee, aber ich ging jeglichem Partygetümmel aus dem Weg und hegte nicht den leisesten Wunsch, jemanden kennenzulernen.
War man krank, ging man zum Arzt, wollte man Karriere machen, halfen Fleiß und Ideen, träumte man von einer Reise oder einer Eigentumswohnung, konnte man sparen – es gab vieles im Leben, das sich beeinflussen ließ, wofür man selbst etwas
tun
konnte – den richtigen Menschen zu treffen, war reines Glück. Es war uns beschieden oder nicht. Dornröschen war ohne Kuss aufgewacht.
Christian hatte ich seit dieser Begegnung in dem Schwabinger Café nicht mehr wiedergesehen, aber auch wenn der Schmerz im Laufe der Zeit nachgelassen hatte, konnte ich Christian nicht vergessen. Ich dachte oft an ihn.
Ich seufzte, riss mich von der Vergangenheit los und wandte mich der Zukunft zu, die, glaubte ich Rebecca Williams, rosig aussehen konnte. Warum jubelte ich dann nicht? Das, was mir hier passierte – davon
träumten
andere doch nur! Mein Name zusammen mit dem von ____ ______ auf einem Buchcover! Das war doch unglaublich!
Und genau
das
war es: Diese Geschichte war unglaublich und völlig absurd.
Deshalb kein Jubel.
Ein unausgegorener Gedanke rumorte in mir, bis ich ihn klar und deutlich formulieren konnte. Ich las die E-Mail noch einmal. So aufrichtig und warm ihr Ton auch war, an dieser einen Stelle stutzte ich zum zweiten Mal:
Der Verlag möchte sich in den nächsten Tagen gerne mit Ihnen in Verbindung setzen – bitte schicken Sie mir deshalb doch Ihre Anschrift und Telefonnummer.
Weshalb sollte ich ihr meine Anschrift und Telefonnummer geben? Rebecca Williams, wenn sie wirklich so hieß, war bereits im Besitz meiner E-Mail -Adresse, die sie ohne weiteres an den deutschen Verlag hätte weitergeben können. Der wiederum würde sich dann auf demselben Weg bei mir melden, Telefonnummer und Ansprechpartner inklusive, so dass ich ganz einfach zurückrufen könnte.
Hätte Mrs Williams nicht selbst auf die Idee kommen müssen? Wer schickte denn einer völlig Fremden Anschrift und Telefonnummer? Obendrein per E-Mail ? Ich jedenfalls nicht, dachte ich und war mir plötzlich ganz sicher: An der Sache war etwas faul. Man las schließlich immer wieder über ominöse Internet-Geschichten. Von wegen: Ich und ____ ______ zusammen auf demselben Buch. Wir waren doch nicht bei »Lass Dich überraschen«. Rudi Carrell guckte die Radieschen längst von unten an.
Ich rückte meinen Stuhl zurecht,
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