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Lilith Parker

Lilith Parker

Titel: Lilith Parker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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Rafael immer das Gefühl hatte, ein Teil seiner Macht ginge auf ihn über, wenn er lange genug zu seinen Füßen stand.
    Â»Wirklich? Man hört sein Grollen?«, entfuhr es ihm begeistert. Schon einen Moment später hätte er sich für seine Reaktion ohrfeigen können. Er würde Sofias fantastischer Geschichte doch keinen Glauben schenken! Allerdings hatte er noch nie einen echten Löwen gesehen und ein wohliger Schauer durchlief ihn bei der Vorstellung, sein Grollen hören zu können …
    Rafael stand auf, zog trotz der Kälte seine Jacke mit dem Judenkreis aus und klemmte sie sich unter den Arm. »Also gut«, stimmte er Sofias Vorschlag zu. »Auf zur Piazza!«
    Sie huschten durch die Gassen, versteckten sich in dunklen Hauseingängen und lugten vorsichtig um die Ecken, ehe sie über einen Campo eilten. Manchmal erinnerte Rafael die Stadt an das runzlige Gesicht einer alten Dame, das ohne erkennbares Muster von zahlreichen Falten und Kerben gezeichnet war – denn ebenso zogen sich die vielen schmalen Wege und abzweigenden Quergassen durch Venedig. Die meisten Reisenden verliefen sich in diesem Wirrwarr der Gassen und nachts hörte man des Öfteren ein lautes Klatschen und Fluchen, wenn jemand ein unfreiwilliges Bad in einem Kanal nahm, weil er in der Dunkelheit die falsche Abzweigung genommen hatte.
    Â»Auf der Rialto-Brücke sind keine Wachen zu sehen«, raunte Sofia ihm über ihre Schulter hinweg zu.
    Geduckt schlich sie voraus, mit vor Begeisterung gerötetem Gesicht. Für Sofia schien dies eher ein Spiel zu sein, für Rafael jedoch war es bitterer Ernst. Nervös nahmen seine Augen jede noch so kleine Bewegung wahr, selbst wenn sie nur von einer Wasserratte verursacht worden war. Er spürte ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend. Sein Bauchgefühl riet ihm entschieden von ihrem Vorhaben ab. Wahrscheinlich wäre es klüger gewesen, wenn er bis zum Sonnenaufgang in ihrem Versteck geblieben wäre!
    Unwillkürlich musste er an seinen Vater denken. Er hatte Rafael eigentlich verboten, sich mit dem frechen und aufmüpfigen Mädchen aus dem Waisenhaus zu treffen. Aber Sofia sprühte immer vor Ideen und verrückten Einfällen und Rafael hatte bisher jede Sekunde, die er mit ihr verbracht hatte, genossen. Mit ihren zerzausten Haaren, der gebräunten Haut und den grün blitzenden Augen war sie so anders als alle Mädchen, die er kannte. Aber vielleicht hatte sein Vater recht mit seiner Behauptung, dass dieses Mädchen ihm nur Unglück bringen würde …
    Sie tauchten aus einem schmalen Durchgang ins Freie, frische Seeluft strich Rafael über das Gesicht. Vor ihnen lag die Piazza San Marco, der Markusplatz. Wie jedes Mal raubte der Anblick Rafael für einen Moment den Atem. Im Zwielicht des herannahenden Morgens erkannte er den mächtigen Schatten des Campanile, des fast hundert Meter hohen Glockenturms, die Kuppeln der Basilika, den direkt dahinter liegenden Dogenpalast und die Masten der zahlreichenHandelsschiffe, die nicht weit davon entfernt im Canal Grande vor Anker lagen. Nachdem man am Fuße der hohen, dicht gedrängten Häuser der Altstadt wie durch einen Tunnel gelaufen war, beeindruckte vor allem die Größe des Platzes, die selbst jetzt im Halbdunkel spürbar war. Rafael blieb bezaubert stehen. Noch nie hatte er den Markusplatz zu dieser Stunde gesehen. Der Himmel, nun von einem tiefen Dunkelblau, zog sich wie eine göttliche Kuppel über die Piazza und die Sterne der Nacht verabschiedeten sich mit einem letzten Funkeln von diesem Ort der Schönheit. Er atmete tief die nach Salz und Algen riechende Luft ein und ein Gefühl unbändiger Freiheit durchströmte ihn.
    Das Gefühl verflog jäh, als Sofia ihn eilig nach rechts zum Amtssitz der Prokuratoren zog und Rafael damit daran erinnerte, dass er auf der Hut sein musste. Das herrschaftliche Gebäude, Procuratie Vecchie genannt, besaß einen lang gezogenen Säulengang, in dessen Dunkelheit sie nun schlüpften.
    Vorsichtig lugten die beiden hinter einer Säule hervor auf die Mitte des Platzes. Trotz der frühen Stunde waren schon die ersten Händler auf den Beinen, um ihre Marktstände aufzubauen und Obst, Gemüse, Fisch und Hühner, Gewürze und kandierte Früchte zum Verkauf zu richten. Die meisten von ihnen hatten sich jedoch zu einer kleinen Gruppe zusammengefunden, in deren Mitte sich auch

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