Lilith Parker
dass es sich bei dem nächtlichen Geschrei nur um einen Geistesgestörten gehandelt hatte, der nicht wusste, was er von sich gab.
»Rafael, sieh mal!«
Sofias Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Das Mädchen beobachtete immer noch die Händler auf der Piazza und kaute dabei bedächtig an einer ihrer schwarzen Haarsträhnen herum.
»Der Händler dort hat seine Geldbörse mitten auf dem Tisch abgelegt!«
Es dauerte einen Moment, ehe Rafael begriff, was sie damit sagen wollte. »Du willst sie doch nicht etwa stehlen?«
Sofia zuckte mit den Schultern und setzte einen unschuldigenGesichtsausdruck auf. »Was wäre denn schon dabei? Im Gegensatz zu uns hat der Mann sicherlich genug Geld und wir könnten uns davon etwas zu essen kaufen.«
Sofia deutete auf einen Stand in ihrer Nähe. Rafael erblickte den kahlköpfigen Händler mit dem dunkelbraunen Wams, der vorhin dem Wächter widersprochen hatte. Er war gerade darin vertieft, seine Auslagen aufzubauen und fauliges Obst auszusortieren, während seine Geldbörse einige Schritte von ihm entfernt auf einem kleineren Tisch lag. Die abgetragene Kleidung des Mannes und sein winziger Marktstand machten auf Rafael nicht unbedingt den Eindruck, als ob er viel Geld besäÃe.
Er schluckte schwer. Es war eine Sache, während eines Festes eine kleine Nascherei zu stibitzen, wie sie es letzten Abend getan hatten, aber Geld zu stehlen ⦠Alles in ihm rebellierte gegen diese Vorstellung. Er wollte kein Dieb sein!
»Er wird uns sicherlich dabei erwischen«, versuchte er Sofia von ihrer Idee abzubringen. »Und auÃerdem habe ich gar keinen Hunger.«
»Du vielleicht nicht, aber ich muss an später denken. Bei mir im Waisenhaus sind die Mahlzeiten nicht besonders reichhaltig.«
Rafael schwieg betroffen. Er wusste, dass es Sofia im Waisenhaus schwer hatte und sich dort niemand darum scherte, was das Mädchen so trieb. Im Gegensatz zu ihr besaà er Eltern, die sich um ihn sorgten, und auch wenn sie nicht viel Geld besaÃen, so musste er doch niemals mit knurrendem Magen zu Bett gehen.
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