Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
Spitznamen des vormaligen Betreibers. Tatsache war, daß außergewöhnlich viele Frauen hierherkamen. Dennoch war nichts im Gange, was den Untrieben des Damenboxsports entsprochen hätte. Die Damen, die an diesem Ort trainierten, wollten sich einfach nach Feierabend ein wenig austoben, ohne gleich ihre Liebhaber umbringen zu müssen.
Auch der Restaurator kam zum Austoben ins Frau Hitt . Am liebsten war ihm der Sandsack. Er vermied das Techniktraining, so gut es ging. Erst recht vermied er es, in den Ring zu steigen. Der Ring war für ihn weniger eine reale Stätte als ein Symbol. Ein Symbol der Erniedrigung. Und alle, die in diesen Ring stiegen, bildeten einen stark illustrativen Teil dieses Symbols.
Er suchte sich also wie üblich einen freien Sandsack und schlug diverse Kombinationen in die träg herabhängende Masse.
Während er gerade mit letzter Kraft einen rechten Haken in eine imaginierte linke Niere donnerte, trat jemand von hinten an ihn heran und fragte: »Lust auf ein Randori?«
Im Frau Hitt war es Usus, anstatt von einem »Sparring« zu sprechen, den japanischen Ausdruck »Randori« zu gebrauchen. Das klang sehr viel adretter und kultivierter, während man beim Wort Sparring unweigerlich an Spare Ribs und ähnlich ekelhafte Dinge denken mußte. Aber Kampf blieb nun mal Kampf. Und war in keinem Fall die Sache des Restaurators. Weshalb er eigentlich dankend ablehnen wollte. Allerdings stand er jetzt einer Frau gegenüber, die genau von der Art war, welche seine Phantasie anregte. Und nicht zuletzt war er ja auch deswegen in diesen exklusiven und recht teuren Club eingetreten. Um von phantasieanregenden Geschöpfen umgeben zu sein.
Das Geschöpf mochte zehn, fünfzehn Jahre älter sein als er selbst. Das Verlebte in ihrem Gesicht erschien jedoch nicht als ein Ausdruck des Verlebten, sondern eines Übermaßes an Erfahrung. Erfahrung in allem möglichen. Und ein paar Dingen jenseits davon. Ihr Körper war absolut durchtrainiert, gleichwohl fehlten die Muskeltrauben einer Bodybuilderin. Sie trug gelbe Shorts und einen gelben Sport-BH, in dem feste, große, aber nicht zu große Brüste einsaßen. Brüste von der Sorte, die Männer, wie der Restaurator einer war, an Frauen wie Barbarella, Supergirl, Catwoman, Emma Peel, Lara Croft, den T-X-Roboter und einige Manga-Heldinnen erinnerte. Brüste, die abseits jeglicher Mütterlichkeit standen, eher an eine Bewaffnung denken ließen. Aber man weiß ja, wie sehr kleine und große Buben von Waffen schwärmen. Und daß sie wahrscheinlich die Erotik der Waffe jener der Mütterlichkeit vorziehen. Weniger, weil Männer immer nur töten wollen. Lieber wollen sie getötet werden. Auch ist es leichter, sich die Liebe zu einer Waffe als zur eigenen Mutter einzugestehen.
Wie auch immer, die Frau mit den stechend blonden Haaren und einem Blick von mehr als tausend tollen Nächten hatte es dem Restaurator sofort angetan. Was nicht hieß, daß er mit ihr in den Ring steigen wollte. Er sagte ihr das auch. Er sagte, daß er chancenlos wäre, daß er gegen sie, so wie sie aussehe und so wie er aussehe, keine zwei Runden durchstehen würde.
»Gehen Sie nur mit Frauen in den Ring, denen Sie überlegen sind?« fragte die Frau und schüttelte ihre Hände aus.
Nun, was sollte man da antworten?
Der Restaurator gab nach. Er sagte: »Gut. Machen wir das.«
»Später«, erklärte die Frau. »Es sind vorher noch andere an der Reihe. Wir können dann als letztes Paar rein. Werden ganz unter uns bleiben.«
Die Vorstellung, mit dieser Frau allein im Studio zu sein, allein im Ring, erregte den Restaurator, so, wie es ihn ängstigte. Er sah jetzt hinüber, wie seine prospektive Gegnerin an einen Sandsack ging, wie perfekt sie sich bewegte, wie standsicher sie war und mit welcher Wucht sie zuschlug. Eine Wucht, die in den drei Minuten, da sie an dem Trainingsgerät verblieb, in keiner Weise abzunehmen schien. Für den Fall, daß sie dosierte, sah man es nicht. Aber wahrscheinlich brauchte sie auch gar nicht zu dosieren. Nicht wegen dreier Minuten, in denen andere freilich zusammenbrachen.
Der Restaurator lächelte verbissen. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich an die Urlaube seiner Kindheit erinnert, wenn am letzten Tag die Sonne herauskam oder es im Winter am letzten Tag zu schneien anfing. Diese Bitterkeit.
Aber Ferien waren nun mal Ferien. Man hatte glücklich zu sein. Man hatte sich vorzustellen, daß alles so kommen würde, wie man es sich wünschte. Also bemühte sich der
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