Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
ihrer Truppe ein kleines, ausgesprochen sauberes und helles Gebäude am Rande des Internationalen Flughafens von Mauritius. Eigentlich sah es aus, als befände man sich im Warteraum eines Star-Gynäkologen. Weiße Säulen, weiße Bilder, weiße Stühle, hohe Scheiben Richtung Flugfeld. Nur die Dame hinter dem einzigen Schalter war sehr viel farbiger als der Rest. Selbst das Emblem der Fluggesellschaft stellte etwas Weißes vor weißem Hintergrund dar. Man mußte schon näher herangehen, um das Muster aus unterschiedlich breiten, dunkelweißen bis hellweißen Ringen zu erkennen. Es sah aus wie ein verrückt gewordener Notenschlüssel, der, mit Zaubertinte geschrieben, soeben im Begriff war, wieder zu verschwinden.
»Oceanic Airlines?« las Desprez mit fragender Stimme die eisblauen Lettern über dem Logo. »Das kann doch nicht sein. Diese Linie … die ist doch ein Fake, oder?«
Er spielte darauf an, daß Oceanic Airlines eine fiktive Fluggesellschaft darstellte, welche in mehreren Filmen zum Einsatz gekommen war, da wirkliche Unternehmen ihre Namen und Logos höchst ungern in Katastrophenfilmen wiedererkannten. Zuletzt war Oceanic Airlines in einer amerikanischen TV-Serie mit dem Titel Lost aufgetaucht. Notwendigerweise handelte es sich um eine Crash-Linie, die selbstironisch mit dem Slogan Taking You Places You’ve Never Imagined! warb. Es war somit ganz unmöglich, daß hier, in Mauritius …
»Die gibt es jetzt wirklich«, erklärte Palanka.
»Nicht Ihr Ernst.«
»O ja! Zumindest wenn wir nicht glauben wollen, wir selbst seien fiktiv.«
Desprez dachte nach. Wenn er und Palanka und sie alle, wie sie da standen, erfunden waren, erfunden wie diese Fluglinie, dann würde es einen Absturz geben, geben müssen, denn nur darum war diese Gesellschaft ja erdacht worden, um im Film abstürzende Flugzeuge mit dem Namen einer Airline auszustatten.
Da war es natürlich viel besser, wenn er und Palanka und die anderen nicht erfunden waren und die konkrete Fluggesellschaft bloß von einer Fälschung inspiriert worden war. Ohne hoffentlich so weit zu gehen, die eingesetzten Flugzeuge entsprechend der filmischen Vorlagen verunglücken zu lassen.
Die Oceanic Airlines der Wirklichkeit war auf kleinere Flugzeuge spezialisiert, welche zwischen Mauritius, Réunion, Madagaskar und dem afrikanischen Kontinent verkehrten. Beziehungsweise konnte man einige der Maschinen samt Piloten und Flugpersonal anmieten.
Genau dies hatte Palanka getan. Sie wußte jetzt, wohin es ging. Und daß vorgesehen war, auf der Insel Saint Paul mit Fallschirmen zu landen, weshalb man eine für solche Einsätze geeignete ehemalige Militärmaschine gechartert hatte. Eine Maschine, die freilich im typischen Weiß der realen Oceanic Fluglinie erstrahlte, mit den eisblauen Lettern und dem feenhaften Notenschlüssellogo.
Als nun die Leute, die allesamt im Sold einer gewissen Esha Ness standen, sich in der Montur von Fallschirmspringern auf das Flugfeld begaben und der Maschine näherten, bewies Desprez, daß er auch ein wenig Humor besaß. Den Slogan des fiktiven Vorbilds leicht verändernd, meinte er: »Taking you places you never like to imagine!«
Etwa in dem Moment, da Georg Stransky über die fortgesetzt glatt gestrichene See südwärts sah und Henri Desprez auf dem Weg zu seinem Flieger eine dunkle Ahnung von sich gab, stieg jener Restaurator, dem es noch immer nicht gelungen war, eine vermutete Fledermaus freizulegen, erschöpft von seinem Gerüst. Er beendete seine Arbeit ein wenig früher als üblich. Es war ein harter und deprimierender Tag gewesen. Er hatte zur Kenntnis nehmen müssen, daß sich auch andere verschmutzte Stellen des noch anstehenden Drittels einer Reinigung widersetzten. Im Grunde waren es drei Flecken, die wie versteinert und festgefroren den Restaurator vor eine unerquickliche Aufgabe stellten, ganz abgesehen davon, daß einer dieser Flecken deutliche Züge eines Gesichts im Profil angenommen hatte.
Der Restaurator wußte wirklich nicht, was er tun sollte. Auch ein Kollege, der kurz vorbeigesehen hatte, war ratlos gewesen und hatte gemeint, daß derartige »Geschwüre« wohl auf eine andere, lange zurückliegende Sanierung zurückzuführen seien. Das war ja eigentlich meistens das Problem von Restauratoren, sich mit den Untaten ihrer Vorgänger herumzuschlagen.
Es reichte ihm. Er würde den Leuten des Denkmalamts, das ihn beschäftigte, empfehlen, einen Experten hinzuzuziehen. Jemand, der eine chemische Analyse vornehmen
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