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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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die notgeile Möndin in eine mittlere Depression.
    »Wenn jemand in die Höhe springt, fällt er mit hundertprozentiger Gewissheit wieder zu Boden«, erklärte Julian. »Materie übt Schwerkraft aus. Je mehr Masse ein Körper auf sich vereint, desto größer ist sein Schwerefeld, mit dem er kleinere Gegenstände an sich bindet.«
    Sir Isaac Newton erschien dösend unter einem Baum, bis ihm ein Apfel auf den Kopf fiel und er mit wissendem Gesicht aufsprang: »Ganz genauso«, sagte er, »verhält es sich mit der himmlischen Mechanik aller Körper. Weil ich größer als der Apfel bin, sollte man meinen, die Frucht sei meiner höchstpersönlichen Leiblichkeit erlegen. Und in der Tat übe auch ich bescheidene gravitative Kräfte aus. Doch verglichen mit der Masse des Planeten spiele ich für das schwerkraftmechanische Verhalten reifer Äpfel eine untergeordnete Rolle. Tatsächlich ist es die Gravitation unserer Erde, gegen die dies winzige Äpfelchen keine Chance hat. Je mehr Kraft ich aufböte beim Versuch, es zurück in die Höhe zu schleudern, desto höher stiege es, doch sosehr ich mich auch mühte, müsste es doch unweigerlich wieder zu Boden fallen.« Wie zum Beweis seiner Ausführungen übte sich Sir Isaac im Apfelhochwurf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Man sieht, die Erde fängt den Apfel wieder ein. Wie viel Energie wäre also vonnöten, um ihn geradewegs in den Weltraum zu schleudern?«
    »Danke, Sir Isaac«, sagte Julian konziliant. »Genau darum geht es. Betrachtet man die Erde als Ganzes, nimmt sich eine Rakete zu ihr nicht wesentlich imposanter aus als ein Apfel, auch wenn Raketen natürlich größer als Äpfel sind. Mit anderen Worten, es bedarf eines ungeheuren Aufwands an Energie, damit sie überhaupt starten kann. Und zusätzliche Energie, um die zweite Kraft auszugleichen, die sie beim Aufstieg abbremst, nämlich unsere Atmosphäre.«
    Rocky Rocket, erschöpft vom Bemühen, seine himmlische Geliebte zu erreichen, trat zu einem riesigen Zylinder mit der Aufschrift Treibstoff und trank ihn leer, woraufhin er unförmig anschwoll und ihm die Augen aus den Höhlen traten. Allerdings war er nun endlich in der Lage, einen solch gewaltigen Feuerstoß zu erzeugen, dass er abhob, kleiner wurde und nicht mehr zu sehen war.
    Julian machte eine Rechnung auf. »Lässt man beiseite, dass alleine die Größe der erforderlichen Treibstofftanks für interstellare Raumschiffe ab einem gewissen Punkt zum Problem wird, kostete im 20. Jahrhundert jeder Start ein Heidengeld. Energie ist teuer. De facto belief sich der energetische Aufwand, um nur ein einziges Kilogramm auf Fluchtgeschwindigkeit zu beschleunigen und der Erdschwerkraft zu entreißen, auf durchschnittlich 50.000 US-Dollar. Ein einziges Kilogramm! Die komplette, vollgetankte Apollo-11-Rakete mit Armstrong, Aldrin und Collins an Bord wog aber fast 3000 Tonnen! Was immer man also einbaute oder mitnahm, trug dazu bei, die Kosten ins Astronomische zu treiben. Raumschiffe hinreichend gegen Meteoriten, Weltraumschrott und kosmische Strahlung zu sichern, musste als illusorisch erscheinen. Wie hätte man die schwere Panzerung nach oben schaffen sollen, wo schon jeder Schluck Trinkwasser, jeder Zentimeter Beinfreiheit die Bilanz verdarb? Schön und gut, sich ein paar Tage lang eine Sardinendose zu teilen, aber wer wollte unter solchen Bedingungen zum Mars fliegen? Dass immer mehr Menschen den Sinn des ruinösen Unterfangens in Zweifel zogen, während das Gros der Weltbevölkerung von weniger als einem Dollar täglich lebte, kam erschwerend hinzu. Aus all diesen Erwägungen heraus schienen Pläne wie die Besiedelung und wirtschaftliche Nutzbarmachung des Mondes oder Flüge zu anderen Planeten an der Wirklichkeit zu zerschellen.« Julian machte eine Pause. »Und dabei hatte die Lösung die ganze Zeit über auf dem Tisch gelegen! In Form eines Aufsatzes, verfasst von einem russischen Physiker namens Konstantin Ziolkowski im Jahre 1895, 62 Jahre vor dem Start von Sputnik 1.«
    Ein alter Mann, Spinnwebhaar, Fusselbart und Nickelbrille, betrat die virtuelle Bühne mit der Grazie eines untoten Kosaken. Während er sprach, wuchs auf der Erdoberfläche ein bizarres Gitterkonstrukt empor.
    »Ich dachte an einen Turm«, beschwor Ziolkowski die Zuhörer mit bebenden Händen. »Ähnlich dem Eiffelturm, nur sehr viel höher. Bis in den Weltraum sollte er reichen, ein kolossaler Fahrstuhlschacht, an dessen oberem Ende ein Kabel aufgehängt war, das bis zur Erde reichte.

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