Limonow (German Edition)
Anton«, wirft Eduard ein, »ich verlasse ein Gefängnis, keinen Nachtclub.«
»Trotzdem, du musst elegant sein: Du bist ein berühmter Schriftsteller.«
»Hier gibt es keine berühmten Schriftsteller, sondern nur Zeks «, antwortet Eduard, und noch bevor er seinen Satz beendet hat, schämt er sich schon für seine Verlogenheit und Demagogie. Natürlich ist er ein berühmter Schriftsteller. Natürlich hat sein Schicksal nichts mit dem von Anton zu tun.
Im Lager geht vom Aufwachen an wegen des Fernsehteams alles drüber und drunter. Ein halbes Dutzend Leute gehört dazu: Journalist, Regisseur, Kameramann, Tonmeister und Assistenten, darunter drei Frauen. Junge Frauen, und weil es Sommer ist, tragen sie kurze Röcke und anliegende Tops, Frauen, die nach Parfum und unter dem Parfum nach Frau, nach Achselhöhle und Sex riechen, Frauen, die die Herde von Zeks , die sie für den Morgenappell auf der zentralen Grünfläche postieren, komplett kopflos machen. Die Stunde für diesen Appell ist längst verstrichen, das Team war nicht früh genug da, um dem wirklichen Appell beizuwohnen, doch der Regisseur hat ohnehin seine eigene Vorstellung, wie der wirkliche auszusehen hat: Der Direktor war davon ausgegangen, dass man die salonfähigsten Häftlinge vorn aufstellt, so wie er es selber fordert, wenn eine Delegation zu Besuch kommt, doch je weiter die Dreharbeiten fortschreiten, desto offensichtlicher wird es, dass der Regisseur nicht die Absicht hat, den Charme der Einrichtung und das frische Aussehen seiner Insassen hervorzuheben, sondern ganz im Gegenteil zu zeigen, dass der abenteuerliche Schriftsteller Limonow gerade aus der Hölle kommt. Trotz des Protests des Direktors sind die hübschen Assistentinnen damit beauftragt, die wildesten Rüben zusammenzusuchen, und der Kameramann wurde angewiesen, Aufnahmen von Rissen, schlammigen Pfützen und Abfallhaufen zu machen – was in einem insgesamt so gut gepflegten Lager eine einigermaßen schwierige Angelegenheit ist. Doch ich will keine Kritik üben: Ich habe genau dasselbe gemacht, als ich eine Sequenz meines Dokumentarfilms im Lager für Minderjährige in Kotelnitsch drehte und auf ein danteskes Spektakel hoffte, weil ich mich nicht gut genug informiert hatte, dass dort kein solches zu finden war.
Mitten in all diesem Rummel erfüllt Eduard sehr bewusst, worum man ihn bittet. Er spielt seine eigene Rolle. In der Appell-Szene, umgeben von zwei Statisten mit idealen Verbrechervisagen, wirft er mit voller Stimme seinen Namen, Vornamen, Vatersnamen und Straftatbestand in die Runde. Er tut es zum letzten Mal, aber man braucht drei Aufnahmen, denn der Regisseur ist mit den ersten beiden nicht zufrieden. Danach, im Speisesaal, wischt er seinen Napf mit Brot aus und führt dabei ein »natürliches« Gespräch mit den anderen. »Tut so, als wären wir nicht da, Leute«, sagt der Regisseur immer wieder, »tut so, als wär’ das ein ganz normaler Tag.«
Insgesamt sind die Häftlinge sehr zufrieden, und sie streiten sich um die Ehre, in der Einstellung neben dem Helden auftauchen zu dürfen. »Sieht man mich hier? Bin ich mit drauf?«, fragen sie, während sie sich mithilfe ihrer Ellbogen nach vorn drängeln. Und während Eduard dieses gefälscht natürliche, gefälscht normale Gespräch mit ihnen führt, von dem am Ende nur seine Repliken übrigbleiben werden, weil nur er ein Ansteckmikrofon bekommen hat, glaubt er, eine Riesendummheit begangen zu haben, als er diese Fernsehgeschichte akzeptierte. Er denkt, dass es schade ist, auf diese Weise zu gehen. Vielleicht denkt er sogar, dass es überhaupt schade ist zu gehen. Natürlich brennt er darauf, wieder in Freiheit zu sein, bei Nastja und den Leuten von der Partei. Aber er wird nie wieder der Mann sein, der er hier war. Möglicherweise ist das Lager die Hölle, aber einzig durch die Kraft seines Geistes ist er fähig gewesen, ein Paradies daraus zu machen. Das Lager war für ihn so gastlich geworden wie für einen Mönch das Kloster. Die drei täglichen Appelle waren seine Messen, die Meditation sein Gebet, und einmal hat sich der Himmel für ihn aufgetan. Jede Nacht, umgeben vom Schnarchen der Baracke, berauschte er sich heimlich an seiner Kraft und am Erz seiner übernatürlichen Seele, in der sich ein geheimnisvoller Prozess fortsetzte, der im Altai beim Trapper Solotarew begonnen hatte: eine wahre, ewige Befreiung; und er fragt sich mit plötzlicher Unruhe, ob seine irdische Freilassung ihn jener nicht berauben könnte. Er
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