Limonow (German Edition)
verteidigen – und er ist stolz, von diesen aufgenommen zu werden. Er misstraut der Perestroika und hasst es, wenn Masochisten oder CIA -Agenten aus dem Gulag und den Verbrechen Stalins eine Staatsaktion machen, und er erlebt das Ende des Imperiums nicht nur als die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts, sondern vertritt diese Auffassung unumwunden auch noch heute. Im Chaos der frühen neunziger Jahre findet er sich auf der Seite der Verlierer und Überrumpelten wieder, die sich zum Taxifahren gezwungen sehen. Als er an die Macht kommt, liebt er es wie Eduard, sich mit nacktem Oberkörper, starken Muskeln, Drillichhosen und einem Kommandodolch am Gürtel fotografieren zu lassen. Wie Eduard ist er kaltschnäuzig und scharfsinnig, er weiß, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, und glaubt einzig an das Recht des Stärkeren, an einen absoluten Relativismus der Werte, und er zieht es vor, Angst einzuflößen als Angst zu haben. Wie Eduard verachtet er die Jammerlappen, die das menschliche Leben als heilig betrachten. Die Besatzung des U-Boots Kursk kann acht Tage lang am Grund der Barentssee eines Erstickungstods krepieren, russische Spezialeinheiten können 150 Geiseln im Dubrowka-Theater vergasen und 350 Kinder können in der Schule von Beslan massakriert werden: Wladimir Wladimirowitsch überbringt dem Volk Nachrichten von seiner Hündin, die gerade Junge bekommen hat. Dem Wurf gehe es gut, die Welpen saugten gut; man muss das Gute im Leben sehen.
Der Unterschied zu Eduard ist: Putin hat es geschafft. Er ist der Chef. Er kann verordnen, dass die Schulbücher aufhören, Schlechtes über Stalin zu verbreiten, und er kann die NGO s und die guten Seelen in der liberalen Opposition gleichschalten. Er ver neigt sich der Form halber vor Sacharows Grab, aber lässt auf seinem Schreibtisch für alle sichtbar eine Büste von Dserschinski stehen. Wenn Europa ihn provoziert, indem es die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennt, sagt er: »Wie ihr wollt, aber dann werden auch Südossetien und Abchasien unabhängig sein, und den Georgiern schicken wir Panzer; und wenn ihr nicht nett mit uns redet, drehen wir euch den Gashahn ab.«
Diese markigen Umgangsformen müssten Eduard, wenn er konsequent wäre, imponieren. Stattdessen schreibt er wie Anna Politkowskaja Pamphlete, in denen er erklärt, Putin sei nicht nur ein Tyrann, sondern ein farbloser und mittelmäßiger noch dazu, und ihm sei eine Uniform zugefallen, die für ihn zu groß ist. Die Falschheit dieser Behauptung scheint mir offenkundig. Ich glaube, Putin ist ein Staatsmann von großem Format, und seine Popularität rührt nicht nur daher, dass die Leute durch gleichgeschaltete Medien ihrer Hirne beraubt sind. Es gibt noch etwas anderes. Putin sagt immer wieder etwas, was zu hören die Russen ein riesiges Bedürfnis haben und was man folgendermaßen zusammenfassen kann: »Niemand hat das Recht, 150 Millionen Menschen zu sagen, dass siebzig Jahre ihres Lebens und des Lebens ihrer Eltern und Großeltern, dass alles, woran sie geglaubt und wofür sie gekämpft und sich geopfert haben, dass selbst die Luft, die sie atmeten, Scheiße gewesen sei. Der Kommunismus hat fürchterliche Dinge angerichtet, in Ordnung, aber er war nicht dasselbe wie der Faschismus. Diese Gleichsetzung, die westliche Intellektuelle mittlerweile als selbstverständlich hinstellen, ist eine Schande. Der Kommunismus war etwas Großes, etwas Heldenhaftes und Schönes, etwas, das Vertrauen in den Menschen setzte und Vertrauen in den Menschen weckte. Es lag eine Unschuld darin, und in der gnadenlosen Welt, die auf ihn folgte, assoziiert ihn jeder vage mit seiner Kindheit und mit dem, was zum Weinen bringt, wenn einen ein Hauch von Kindheit anweht.«
Ich bin mir sicher, dass Putin vollkommen aufrichtig war, als er jenen Satz formulierte, den ich diesem Buch als Motto vorangestellt habe. Ich bin mir sicher, dass er aus der Tiefe seines Herzens kam, denn jeder besitzt ein solches. Er spricht zum Herzen aller Russen, angefangen bei Limonow, der, wenn er an Putins Stelle wäre, sicher dasselbe sagen und tun würde, was dieser sagt und tut. Aber er ist nicht an seiner Stelle, und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als die für ihn so unpassende Rolle eines tugendhaften Oppositionellen zu spielen, der vor ehrlichen Leuten, die all das verkörpern, was er immer verachtete, Werte verteidigt, an die er nicht glaubt (Demokratie, Menschenrechte und all dieser Blödsinn). Nicht ganz schachmatt, aber
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