Limonow (German Edition)
glaubte immer, seine Berufung sei es, sich so tief wie möglich in die Realität zu versenken, und das hier war die Realität. Jetzt ist es vorbei. Das beste Kapitel seines Lebens liegt hinter ihm.
Epilog
Moskau,
Dezember 2009
1
Wir sind wieder am Anfang des Buches. Als ich meine Reportage über Limonow schrieb, hatte er das Gefängnis bereits seit vier Jahren verlassen. Ich wusste nichts von all dem, was ich gerade erzählt habe, und ich brauchte fast noch einmal vier Jahre, um es in Erfahrung zu bringen, aber dennoch spürte ich auf konfuse Weise, dass irgendetwas hinkte. Es war, als trüge er immer noch das Ansteckmikro und als spielte er immer noch seine eigene Rolle vor einer Fernsehkamera. Er war in seinem Land jener Star geworden, der zu sein er immer geträumt hatte: ein vergötterter Schriftsteller, ein extravaganter Guerillero, ein guter Klient für die People -Presse. Kaum war er aus dem Gefängnis heraus, hatte er die tapfere kleine Nastja verlassen, um einer dieser A-Klasse-Frauen aufzusitzen, denen er nie widerstehen konnte: jener hinreißenden Schauspielerin, die durch eine Fernsehserie mit dem Titel Der KGB im Smoking bekannt geworden war. Sein Gefängnisaufenthalt hatte ein Jugendidol aus ihm gemacht, sein Bündnis mit Kasparow einen salonfähigen Politiker, und ich schließe nicht aus, dass er wirklich damit rechnete, durch eine friedliche Revolution an die Macht zu gelangen wie seinerzeit Václav Havel.
Wie sich der Leser sicher erinnert, spielte sich bei den Wahlen 2008 letztlich alles genau so ab, wie es der englische Journalist vorausgesagt hatte, dem ich bei der Pressekonferenz des Tandems Limonow-Kasparow begegnet war. Putin hielt sich an die Verfassung und strebte nicht nach einer dritten Amtszeit, sondern richtete ein geniales System ein, das an die Autos mit doppelter Steuerung von Fahrschulen erinnert: Der neue Präsident Medwedew sitzt auf dem Platz des Fahrschülers und Putin, der Premierminister, auf dem des Fahrlehrers. Er lässt den Schüler lenken, schließlich muss der etwas lernen. Mit väterlichem Kopfnicken gratuliert er ihm, wenn er sich gut macht, und für diesen ist es beruhigend zu wissen, dass für den Fall von Komplikationen ein erfahrener Mann an seiner Seite sitzt. Dennoch stellt sich jeder zwei Fragen: Wird Putin 2012 das Steuer wieder überneh men, wozu ihn die Verfassung ermächtigt, denn sie verbietet lediglich drei Amtszeiten in Folge ? Wird der folgsame Medwedew, wenn er einmal von der Macht gekostet hat, seinem Mentor die Stirn bieten und ihn vielleicht sogar ausstechen, so wie Putin selbst jene ausstach, die ihn zum König gemacht hatten?
Jetzt, da ich dieses Buch beende, denke ich viel über Putin nach. Und je länger ich über ihn nachdenke, desto mehr meine ich, Edu ards Tragödie besteht darin, dass er sich der Lewitins, die seine Jugend vergifteten, entledigt geglaubt hatte, während sich im vorgerückten Alter, da er den Weg frei wähnte, ein Super-Lewitin vor ihm aufbaute: der Oberstleutnant Wladimir Wladimirowitsch.
Zur Wahlkampagne im Jahr 2000 erschien unter dem Titel In der ersten Person ein Interviewband mit Putin. Ein Titel, den wahrscheinlich irgendein Pressesprecher gewählt hatte, aber gut gewählt hatte. Man könnte ihn über das ganze Werk von Limonow setzen und über einen Teil meines eigenen. Im Hinblick auf Putin ist er durchaus begründet. Oft wird behauptet, Putin würde nur Phrasen dreschen. Das ist nicht wahr. Er tut, was er sagt, und er sagt, was er tut, und wenn er lügt, dann mit einer solchen Dreistigkeit, dass niemand sich davon täuschen lassen kann. Wenn man sein Leben betrachtet, hat man den irritierenden Eindruck, ein Double von Eduard vor sich zu haben. Putin wurde zehn Jahre später als dieser in einer ähnlichen Familie geboren: der Vater ein Unteroffizier, die Mutter Hausfrau, sie alle in einem Kommunalka -Zimmer zusammengepfercht. Als kleiner, schwächlicher, ängstlicher Junge wächst er mit dem Kult des Vaterlands, des Großen Patriotischen Kriegs, des KGB und der Heidenangst auf, die dieser den Weicheiern im Westen einjagt. Als Jugendlicher ist er, seinen eigenen Worten nach, ein kleiner Gauner. Was ihn davon abhält, ein großer zu werden, ist das Judo, dem er sich mit einer solchen Intensität hingibt, dass sich seine Kameraden an wilde Schreie erinnern, die aus der Turnhalle drangen, wenn er sonntags dort allein trainierte. Aus Romantik tritt er den Sicherheitsorganen bei, weil dort Elitemänner ihr Vaterland
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