Limonow (German Edition)
gezogen war. Darin erzählte er von dem armseligen und glamourösen Leben, das er in New York geführt hatte, nachdem er aus der Sowjetunion emigriert war: von Gelegenheitsjobs, seinem Leben als Tagedieb in einer heruntergekommenen Absteige und zuweilen auch auf der Straße, hetero- und homosexuellen Bettgeschichten, Besäufnissen, Diebstählen und Prügeleien – was die Gewalt und Wut betrifft, konnte es an die nächtlichen Streifzüge von Robert De Niro in Taxi Driver denken lassen, im Hinblick auf seinen Lebensdrang an die Romane von Henry Miller, mit dem Limonow die Dickhäutigkeit und die innere Ruhe eines Kannibalen teilte. Das Buch hatte etwas, und sein Autor enttäuschte nicht, wenn man ihm begegnete. Sowjetische Dissidenten waren damals für gewöhnlich schwere, schlecht gekleidete Bartträger, die in kleinen, mit Büchern und Ikonen vollgestopften Wohnungen lebten, wo sie nächtelang vom Heil der Welt durch die Orthodoxie redeten –stattdessen fand man sich vor einem durchtriebenen, witzigen, anziehenden Typen wieder, der die Aura eines Matrosen auf Landgang und gleichzeitig die eines Rockstars hatte. Es war die große Zeit des Punks, sein erklärter Held war Johnny Rotten, der Leader der Sex Pistols, und er hatte keine Hemmungen, Solschenizyn als altes Arschloch zu bezeichnen. Sein new wave -artiges Dissidententum war erfrischend, und bei seiner Ankunft war Limonow der Liebling der kleinen literarischen Welt von Paris – in der ich selbst schüchtern debütierte. Limonow war kein fiktionaler Autor, er konnte nur von seinem Leben erzählen, aber sein Leben war faszinierend, und er erzählte gut davon, in einem einfachen, plastischen Stil ohne literarisches Getue und mit der Energie eines russischen Jack London. Nach seinen Chroniken aus der Emigration veröffentlichte er Erinnerungen an seine Kindheit in der Vorstadt von Charkow in der Ukraine, an die Zeit als jugendlicher Kleinkrimineller und schließlich als Avantgarde-Dichter im Moskau unter Breschnew. Er schilderte die Sowjetunion und diese Epoche mit spöttischer Nostalgie als ein Paradies für pfiffige Hooligans, und nicht selten hielt er am Ende eines Abendessens, wenn alle außer ihm betrunken waren – denn er selbst hält dem Alkohol wundersam stand –, ein Loblied auf Stalin, was man seiner Lust an der Provokation zuschrieb. Traf man ihn im Palace , trug er das Segelhemd eines Rote Armee-Offiziers zur Schau. Er schrieb im L’Idiot international , der Zeitung von Jean-Edern Hallier, die keine ideologischen Schwarz-Weiß-Zeichner, sondern nonkonformistische, brillante Geister zusammenführte. Er liebte Prügeleien und hatte einen unglaublichen Erfolg bei Frauen. Die Freiheit seines ganzen Auftretens und seine abenteuerliche Vergangenheit imponierten uns jungen Bürgerlichen. Limonow war unser Barbar, unser Gauner: Wir verehrten ihn.
Die Dinge begannen in eine seltsame Richtung zu laufen, als der Kommunismus zusammenbrach. Jeder freute sich darüber außer ihm, und er schien nicht zu scherzen, wenn er für Gorbatschow ein Erschießungskommando forderte. Er begann, auf lange Reisen in den Balkanraum zu verschwinden, wo er, wie man mit Entsetzen entdeckte, an der Seite von serbischen Truppen in den Krieg zog – und das hieß in unseren Augen: an der Seite von Nazis oder Völkermördern wie den Hutus. In einer Dokumentation der BBC sah man ihn unter dem wohlwollenden Blick von Radovan Karadžić, dem Chef der bosnischen Serben und allseits bekannten Kriegsverbrecher, auf das belagerte Sarajewo schießen. Nach diesen Heldentaten kehrte er nach Russland zurück, wo er eine Vereinigung mit dem vielversprechenden Namen Nationalbolschewistische Partei gründete. Zuweilen zeigten Reportagen junge Typen mit kahlrasiertem Schädel und schwarzer Kleidung, wie sie mit halbem Hitlergruß (erhobener Arm), halb kommunistischem Gruß (geschlossene Faust) durch die Straßen von Moskau zogen und Parolen brüllten wie »Stalin! Berija! Gulag!« (und soviel meinten wie: Gebt sie uns wieder!) Die Fahnen, die sie schwangen, waren denen des Dritten Reichs nachempfunden, jedoch mit Hammer und Sichel anstelle des Hakenkreuzes. Und der Besessene mit der Baseballkappe, der mit dem Megafon in der Faust an der Spitze dieser Aufmärsche herumfuchtelte, war genau jener witzige und verführerische Kerl, dessen Freunde zu sein wir wenige Jahre zuvor alle noch so stolz gewesen waren. Es war, als würde man die Entdeckung machen, ein ehemaliger Schulkamerad sei ein
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