Limonow (German Edition)
ein Glück! Das bedeutet freilich nicht, dass diese vernünftigen Leute bereit wären, ihn zu wählen – nicht mehr als die Franzosen, stelle ich mir vor, Houellebecq wählen würden, wenn sich die Gelegenheit dazu böte. Aber sie lieben sein aufrührerisches Wesen, sie bewundern sein Talent und seine Unverfrorenheit, und die Zeitungen, die ununterbrochen über ihn berichten, wissen das. Alles in allem: Er ist ein Star.
Ich begleite ihn zu einer Soiree beim Radiosender Echo Moskau , einem der gesellschaftlichen Ereignisse der Saison. Er ko mmt mit seinen Gorillas hin, aber auch mit seiner neuen Frau, Jekaterina Wolkowa, einer jungen Schauspielerin, die durch eine Fernsehserie bekannt geworden ist. Unter der politisch-medialen Prominenz, die sich auf dieser Soiree drängt, scheinen sie jeden zu kennen, und niemand wird mehr fotografiert und gefeiert als sie. Ich wünschte, Limonow schlüge mir vor, sie danach zum Essen zu begleiten, aber er tut nichts dergleichen. Noch weniger lädt er mich in die Wohnung ein, in der Jekaterina mit ihrem gemeinsamen Baby wohnt – denn sie haben, wie ich an diesem Abend erfahre, einen acht Monate alten Sohn. Schade: Ich hätte gern den Ort gesehen, an dem der Krieger zwischen zwei Geheimverstecken die Füße ausstreckt. Ich hätte ihn gern in der für ihn überraschenden Rolle des Familienvaters ertappt. Und vor allem hätte ich gern Jekaterina näher kennengelernt, denn sie ist hinreißend und hat eine Art von Liebenswürdigkeit an sich, die ich für das Vorrecht amerikanischer Schauspielerinnen gehalten hatte: Sie lacht viel, staunt über alles, was man ihr sagt, und lässt einen stehen, wenn jemand Wichtigeres vorbeikommt. Ich finde trotzdem Zeit, fünf Minuten mit ihr vor dem Buffet zu plaudern, und das ist genug, um mit einer unbedarften Frische erzählt zu bekommen, dass sie sich vor der Begegnung mit Eduard nicht für Politik interessiert habe, ihr jetzt aber klar geworden sei, dass Russland ein totalitärer Staat ist, in dem man für Freiheit kämpfen und an den Protestmärschen teilnehmen muss – und dem scheint sie genauso ernsthaft nachzugehen wie ihren Yoga-Seminaren. Am nächsten Tag lese ich in einer Frauenzeitschrift ein Interview mit ihr, in dem sie Schönheitstipps gibt und in zärtlicher Umarmung mit ihrem berühmten Oppositionellen von Mann posiert. Was mich allerdings vollkommen verblüfft, ist, dass sie, zur Politik befragt, dasselbe wiederholt, was sie mir gegenüber äußerte, und Putin mit ebenso wenig Vorsicht zum Schuldigen erklärt wie eine engagierte Schauspielerin bei uns, die sich für illegale Einwanderer einsetzt, Sarkozy an den Pranger stellen würde. Ich versuche mir vorzustellen, was unter Stalin oder selbst unter Breschnew passiert wäre, würde man von der völlig unwahrscheinlichen These ausgehen, dass ähnliche Sätze hätten gedruckt werden können, und ich sage mir, dass Putins Totalitarismus letztlich wohl nicht der schlimmste ist.
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Es fällt mir schwer, diese Bilder zusammenzubringen: den Ganovenschriftsteller, den ich früher kannte, den verfolgten Guerillero, den verantwortungsbewussten Politiker und das Idol, dem die people -Seiten der Zeitschriften verliebte Artikel widmen. Ich denke mir, ich sollte Aktivisten seiner Partei treffen, um besser durchzublicken, Nazboly von der Basis. Die Skins, die mich jeden Tag in einem schwarzen Wolga zu ihrem Chef fahren und mich am Anfang etwas einschüchterten, sind nette Jungs, aber nicht sehr gesprächig, doch vielleicht stelle ich mich auch dumm an. Am Ende der Pressekonferenz mit Kasparow hatte ich eine junge Frau angesprochen, einfach weil ich sie hübsch fand, und sie gefragt, ob sie Journalistin sei. Sie hatte geantwortet: Ja, das heißt, eigentlich arbeite sie für die Internetseite der Nationalbolschewistischen Partei. Reizend, klug und gut gekleidet wie sie war: Sie war eine Nazbolka .
Über diese charmante junge Frau lerne ich einen ebenso netten jungen Kerl kennen, den – heimlichen – Verantwortlichen für die Moskauer Sektion. Mit seinen langen, von einem Gummiband zusammengehaltenen Haaren und seinem offenen, freundlichen Gesicht hat er wirklich nichts von einem Fascho, eher etwas von einem Globalisierungskritiker oder einem Autonomen der Tarnac-Gruppe. In seiner kleinen Vorstadt-Wohnung gibt es Platten von Manu Chao, und an den Wänden hängen Bilder im Stil von Jean-Michel Basquiat, die seine Frau gemalt hat.
Ich frage: »Und deine Frau? Steht sie hinter deinem
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