Limonow (German Edition)
nicht: Was die Verfassung verbietet, sind drei Amtszeiten in Folge . Doch sie verbietet nicht, eine Runde auszusetzen mit einem Strohmann an der Spitze, der den Sessel warm hält, und danach wiederzukommen. Sie werden sehen.«
Dieses Beiseit dämpft meine Begeisterung. Auf einen Schlag wechselt die Wahrheit wieder auf die Seite der Realisten, der Leute, die Bescheid wissen und sich nichts erzählen lassen, auf die meines spitzzüngigen Freundes Pawel, demzufolge die Geschichte von einer demokratischen Opposition in Russland etwas sei wie eine Rochade beim Dame-Spiel: in den Spielregeln nicht vorgesehen, hat noch nie funktioniert und wird auch nie funktionieren. Kasparow, den ich einen Augenblick zuvor noch bereit war, für einen russischen Wałęsa zu halten, wird zu einer Art François Bayrou, der mit jedem paktiert. Seine Rede kommt mir nun pathetisch und langatmig vor, und mein Nachbar und ich beginnen, eine Komplizenschaft von Hinterbänklern zu entwickeln, die unter den letzten Tischen im Klassenraum schweinische Bilder austauschen. Ich zeige ihm ein Buch von Limonow, das ich gerade gekauft habe. Es heißt Anatomie des Helden , wurde außer in Serbien nirgendwo übersetzt und enthält einen Innenteil mit pfundigen Fotos, auf denen man den fraglichen Helden, nämlich Limonow himself , in Tarnkleidung neben dem serbischen Milizionär Arkan herumstolzieren sieht, neben Jean-Marie Le Pen, dem russischen Populisten Schirinowski, dem Söldnerführer Bob Denard und noch ein paar ähnlichen Humanisten. » Fucking fascist …«, kommentiert der englische Journalist.
Wir richten beide unsere Blicke auf Limonow. Etwas abseits neben Kasparow stehend hört er ihm zu, wie dieser die Verfolgungen durch die Staatsmacht anprangert, und er macht nicht den Anschein, auf das zu warten, worauf alle Politiker während einer solchen Veranstaltung warten würden: dass der Redner endlich fertig werde, um an seiner Stelle das Wort zu ergreifen. Er sitzt einfach da, aufmerksam, so aufrecht und ruhig wie ein buddhistischer Mönch bei der Meditation. Die warme Stimme Kasparows ist jetzt nur noch ein Hintergrundgebrumm: Nun ist es das unergründliche Gesicht Limonows, das ich unter die Lupe nehme, und je mehr ich es prüfe, desto deutlicher wird mir bewusst, dass ich nicht die geringste Vorstellung davon habe, was er denkt. Glaubt er wirklich an diese orange Revolution? Amüsiert es den outlaw , den bissigen Hund, mitten unter ehemaligen Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten, die er sein ganzes Leben lang als naiv bezeichnet hat, den tugendhaften Demokraten zu spielen? Genießt er es im Stillen, sich als Wolf im Schafstall zu sehen?
Ich finde in meinem Heft eine andere Passage aus dem Tagebuch eines Versagers wieder: »Ich habe mich auf die Seite des Schlechten geschlagen, auf die von Käseblättern, Flugzettelkopien und Parteien, die nicht die geringste Chance haben. Ich liebe politische Versammlungen, die nur eine Handvoll Leute zusammenbringen, und die Kakophonie von untalentierten Musikern. Und ich hasse Symphonieorchester. Wenn ich eines Tages die Macht besäße, würde ich allen Geigern und Cellisten die Kehle durchschneiden.« Ich hätte die Stelle gern dem englischen Journalisten übersetzt, aber das ist nicht nötig; er musste im selben Moment das Gleiche gedacht haben, denn er beugt sich zu mir herüber und sagt, dieses Mal ohne im Geringsten zu lächeln: »Seine Freunde sollten sich in Acht nehmen. Wenn er zufällig an die Macht käme, wäre das Erste, was er täte, sie alle über den Haufen zu schießen.«
Auch wenn es nicht von statistischem Wert ist: Im Laufe dieser Reportage habe ich mit über dreißig Personen Gespräche über Limonow geführt, darunter sowohl Unbekannte, deren Auto ich mitbenutzte, denn jedermann in Moskau fährt schwarz Taxi, als auch Freunde, die zu denen gehören, die man mit viel Vorsicht formuliert russische Toskana-Fraktion oder linke Yuppies nennen könnte: Künstler, Journalisten, Verleger, die ihre Möbel bei IKEA kaufen und die russische Ausgabe von Elle lesen, Leute, die alles andere als überdreht sind – und dennoch hörte ich von keinem von ihnen ein Wort gegen Limonow. Keiner sprach das Wort »Faschismus« aus, und wenn ich sagte: »aber diese Fahnen, diese Slogans …«, dann zuckten sie mit den Schultern und fanden mich reichlich prüde. Für sie war es, als sei ich gekommen, um Houellebecq, Lou Reed und Cohn-Bendit gleichzeitig zu interviewen: Zwei Wochen mit Limonow, hast du
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