Linda Lael Miller
Auf den Ruinen einer römischen Festung erbaut und mit einem mächtigen
Turm versehen, befand sich diese beeindruckende Steinmasse nun schon seit Jahrhunderten
in einem Zustand beständigen Verfalls. Das Dach war hier und dort eingestürzt,
und im Winter heulten eisige Winde durch die Gänge und bliesen Lampen und
Fackeln aus. Es hieß, daß es in dem uralten Gemäuer spukte, daß häßlich
Gespenster dort ihr Unwesen trieben, und manchmal drangen Wölfe ein und
richteten ihren Bau in der alten Burg ein.
Trotz all
seiner Mängel jedoch gehörte das Rittergut von Rechts wegen Dane, und er hatte
es immer sehr geliebt. Er würde es nun wieder bewohnbar machen, und wenn er
erst frei war, um Mariette zur Frau zu nehmen, würde auch Kenbrook wieder seine
ursprüngliche Pracht zurückerlangt haben. Dane war fest entschlossen, in diesen
Mauern seine Söhne zu zeugen und sie zu tapferen Rittern zu erziehen, zu
Männern, die für die Gerechtigkeit kämpften und ihrem Vater Ruhm und Ehre
brachten. Natürlich wünschte er sich auch Töchter, kluge, brave Mädchen, die
gewinnbringende Ehen schließen würden.
Mit einem
Seufzer richtete er den Blick auf die junge Frau an seiner Seite. Sie war
bezaubernd schön wie immer und zeigte nicht die geringsten Anzeichen von
Ermüdung nach der langen Reise und der turbulenten Überfahrt aus der Normandie.
Mariette de Troyes saß auf ihrem kleinen grauen Zelter und schenkte Dane ein
sanftes, scheues Lächeln. Dann, mit bebenden Lidern, senkte sie den Blick.
Danes Herz
schlug vor Stolz und Bewunderung unwillkürlich schneller. »Schaut, Mariette«,
sagte er ruhig und deutete auf Kenbrook Manor. »Das ist unser Heim.«
Mariette
zupfte ihre reichverzierte Kopfbedeckung zurecht, eine blütenweiße, spitze
Haube, die ihr Haar verbarg – vor allen außer ihrer Kammerfrau und Dane.
Obwohl er noch nicht mit Mariette intim gewesen war – sie war von vornehmer
Geburt und in einem französischen Kloster aufgewachsen –, hatte sie ihm
gelegentlich einen verbotenen Blick auf ihre üppigen schwarzen Zöpfe gewährt.
Eines Tages, wenn Seine Heiligkeit die Annullierung seiner
Ehe mit Gloriana vollzogen hatte, würde es Danes Vorrecht sein, diese
prachtvolle seidige Mähne zu berühren, seine Finger hindurchgleiten zu lassen
und sein Gesicht in ihrer duftenden Fülle zu bergen, jede Nacht und jeden
Morgen.
»Es
erscheint mir wie ein Ort des Leids«, wandte Mariette schüchtern ein.
Da ein
Gedanke zum nächsten führte, war Dane inzwischen so vertieft in die
Vorstellung verschiedener anderer Vorrechte eines Gemahls, daß er im ersten
Moment nicht wußte, wovon sie sprach. Als er ihrem Blick folgte, sah er, daß
sie die Burg betrachtete.
Eine leise
Enttäuschung erwachte in ihm, die er jedoch rasch unterdrückte. »Ja«,
entgegnete er, in Gedanken bei seinen ungeborenen Söhnen und ohne zu bedenken,
daß seine Männer hinter ihm die Ohren spitzten. »Kenbrook hat in all diesen
Jahrhunderten viel Leid gesehen, aber das ist jetzt vorbei. Wir werden das
Schloß mit Kindern füllen, Mariette – mit unseren Söhnen und unseren Töchtern.«
Die sanfte
Röte, die in ihre Wangen stieg, bildete einen bezaubernden Kontrast zu dem
schneeweißen Stoff ihrer Kopfbedeckung.
Dane, der
ihre Reaktion als mädchenhafte Scham abtat, wendete sein Pferd, um sich zu
seinen unverhohlen grinsenden Männern umzusehen. Sie waren ein schmutzstarrender,
zahnloser Haufen und stanken noch schlimmer als ihre Pferde. Dane spürte, wie
ihm das Blut in den Nacken stieg, aber das war das einzige, was darauf
schließen ließ, daß er es bereute, in ihrer Hörweite über persönliche
Angelegenheiten gesprochen zu haben.
»Es
erwartet euch ein Fest in Hadleigh Castle«, teilte er ihnen ruhig mit. »Nehmt
daran teil und vergnügt euch, aber achtet auf eure Manieren. Mein Bruder ist
der Herr im Schloß, aber es gelten auch weiterhin die Regeln unserer Truppe,
und wer sie bricht, muß sich vor mir verantworten.«
Die Männer
nickten, wendeten auf Danes Zeichen hin ihre Pferde und begannen – jubelnd vor
Freude über die Aussicht
auf Bier und Frauen – den steilen Pfad hinabzujagen, der zur Straße führte.
Nur ein Mann verweilte. Danes Freund, ein rothaariger Waliser namens Maxen, war
der beste Kämpfer in der Truppe, abgesehen von Dane selbst, und klug genug zu
schweigen.
Maxen und
Mariettes Kammerfrau, Fabrienne, bildeten das Ende der kleinen Prozession, als
Dane und seine zukünftige Braut sich in Bewegung setzten.
Gloriana ritt
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