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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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so gut er konnte und vermochte. Nach vielen Monaten mit trophischen Geschwüren wurde Fedorenko entlassen, und weil er im Krankenhaus bleiben wollte, wurde Fedorenko Sanitäter, er kam als Obersanitäter in die chirurgische Abteilung mit rund dreihundert Plätzen. Das Krankenhaus war ein Zentralkrankenhaus, mit tausend Betten allein für die Häftlinge. Im Anbau war auf einer der Etagen ein Krankenhaus für Freie.
    Irgendwann wurde der Arzt krank, der Fedorenkos Krankengeschichte betreute, und an seiner Stelle begann Doktor Krasinskij »einzutragen«, ein alter Militärarzt und Verehrer Jules Vernes (warum?), ein Mann, dem das Leben an der Kolyma das Verlangen zu plaudern, sich zu unterhalten und Meinungen auszutauschen, nicht genommen hatte.
    Als er Fedorenko untersuchte, war Krasinskij verblüfft – er wußte selbst nicht, wovon. Seit seiner Studienzeit befiel ihn diese Unruhe. Nein, das war kein trophisches Geschwür, kein Stumpf nach einer Explosion oder dem Beil. Das war langsam zerfallendes Gewebe. Krasinskijs Herz begann zu schlagen. Er rief Fedorenko noch einmal zu sich, zog ihn ans Fenster, ans Licht, und betrachtete gierig sein Gesicht, ungläubig. Das war Lepra! Das war die Löwenmaske! Ein menschliches Gesicht, das aussah wie das eines Löwen. Fieberhaft blätterte Krasinskij in den Lehrbüchern. Er nahm eine große Nadel und stach mehrmals in ein helles Fleckchen, von denen es auf Fedorenkos Haut viele gab. Keinerlei Schmerz! Schweißüberströmt schrieb Krasinskij einen Rapport an die Leitung. Der Kranke Fedorenko wurde in einem Einzelzimmer isoliert, Hautstückchen wurden zur Biopsie ins Zentrum, nach Magadan, und von dort – nach Moskau eingeschickt. Die Antwort kam nach etwa zwei Wochen. Lepra! Krasinskij war der Held des Tages. Natschalniks korrespondierten mit Natschalniks über das Ausstellen eines Marschbefehls ins Leprosorium der Kolyma. Dieses Leprosorium ist auf einer Insel gelegen, und an beiden Ufern stehen auf die Übersetzstelle gerichtete Maschinengewehre. Einen Marschbefehl, man brauchte einen Marschbefehl.
    Fedorenko stritt nicht ab, daß er im Leprosorium war und daß die Aussätzigen, sich selbst überlassen, in die Freiheit geflohen waren. Die einen – um den Zurückweichenden nachzueilen, die anderen – um Hitlers Leute zu empfangen. So wie im normalen Leben. Fedorenko erwartete seinen Abtransport ruhig, aber das Krankenhaus tobte. Das gesamte Krankenhaus. Auch die, die bei Verhören geschlagen und deren Seelen in Tausenden Verhören zertrümmert worden waren, deren Körper von der die Kräfte übersteigenden Arbeit verkrüppelt, zerquält waren, bei Haftzeiten von fünfundzwanzig plus fünf – Haftzeiten, die man nicht erleben, überleben, am Leben bleiben konnte ... Alle zitterten, schrieen, verfluchten Fedorenko und fürchteten sich vor dem Aussatz.
    Das ist dasselbe psychische Phänomen, das den Flüchtling nötigt, die wohlvorbereitete Flucht aufzuschieben, weil es an diesem Tag im Lager Tabak gibt – oder das » Lädchen «. So zahlreich die Lager sind, so zahlreich auch solche sonderbaren, aller Logik fernen Beispiele.
    So etwa die menschliche Scham. Wo sind ihre Grenzen und ihr Maß? Menschen, deren Leben zerstört ist, deren Vergangenheit und Zukunft zertreten sind, unterwerfen sich plötzlich der Macht eines albernen Vorurteils, eines Unsinns, über den sie sich aus irgendeinem Grund nicht hinwegsetzen, den sie aus irgendeinem Grund nicht zurückweisen können. Und dieses plötzliche Bekunden von Scham tritt auf als das feinste menschliche Gefühl und wird später ein Leben lang als etwas Echtes, etwas unendlich Teures erinnert. Im Krankenhaus gab es einen Fall, wo ein Feldscher, der noch gar kein Feldscher war, sondern einfach half, den Auftrag bekam, Frauen zu rasieren, einen Frauentransport zu rasieren. Die Leitung amüsierte sich, indem sie Frauen befahl, die Männer zu rasieren, und Männern – die Frauen. Jeder amüsiert sich wie er kann. Aber der Friseur beschwor seine Bekannte, dieses Ritual der sanitären Versorgung selbst zu vollziehen und wollte nicht daran denken, daß das Leben ja zerstört war; daß all diese Amüsements der Lagerleitung nur der schmutzige Schaum auf diesem schrecklichen Kessel waren, in dem sein eigenes Leben zu Tode kochte.
    Dieses Menschliche, Drollige, Zarte tritt in den Menschen unerwartet zutage.
    Im Krankenhaus herrschte Panik. Fedorenko hatte ja einige Monate dort gearbeitet. Leider dauert die Inkubationszeit der Erkrankung,

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