Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
Vom Netzwerk:
Lagerarbeit. Unsere erfrorenen Finger würde der amerikanische Bulldozer nicht heilen. Aber vielleicht – das amerikanische Solidol ! Ach, Solidol, Solidol. Das Faß, in dem das Solidol ankam, wurde sofort von einer Menge von
dochodjagi
gestürmt – sofort war der Boden mit einem Stein ausgeschlagen.
    Den Hungrigen hatte man gesagt, das sei Lend-Lease-Butter, und es war kaum noch das halbe Faß übrig, als ein Posten aufgestellt wurde und die Leitung die Menge der
dochodjagi
durch Schüsse vom Faß vertrieb. Die Glücklichen schluckten diese Lend-Lease-Butter – sie glaubten nicht, daß das einfach Solidol war, denn das heilkräftige amerikanische Brot war ebenfalls geschmacklos, hatte auch diesen sonderbaren Eisengeschmack. Und alle, die an das Solidol herangekommen waren, leckten sich einige Stunden die Finger, schluckten kleinste Teilchen dieses überseeischen Wunders, das im Geschmack an junges Gestein erinnerte. Denn auch Gestein wird nicht als Gestein geboren, sondern als weiches, butterartiges Geschöpf. Als Geschöpf, nicht als Stoff. Zu Stoff wird das Gestein im Alter. Der junge flüssige Kalksteintuff in den Bergen bezauberte das Auge der Flüchtigen und der geologischen Schürfarbeiter. Es brauchte Willensanstrengung, um sich von diesen Mehlbreigestaden, diesen Milchströmen des flüssigen jungen Gesteins loszureißen. Aber dort waren Berg, Fels, Klamm, hier dagegen – die Lieferung durch Lend-Lease, ein Erzeugnis menschlicher Hände ...
    Denen, die die Hand ins Faß getaucht hatten, geschah nichts Schlimmes. Magen und Darm, an der Kolyma trainiert, wurden mit dem Solidol fertig. Und bei den Resten wurde ein Posten aufgestellt, denn Solidol ist Nahrung für Maschinen, aus der Sicht des Staates hundertmal wichtigere Geschöpfe als die Menschen.
    Und jetzt war eines dieser Geschöpfe zu uns gekommen über den Ozean – ein Symbol des Siegs, der Freundschaft und von noch etwas anderem.
    Dreihundert Mann waren unendlich neidisch auf den Häftling, der am Steuer des amerikanischen Traktors saß, Grinka Lebedjew. Unter den Gefangenen gab es auch bessere Traktorfahrer als Lebedjew, aber das waren alles Achtundfünfziger oder Kürzelträger – Grinka Lebedjew war ein
bytowik
, Vatermörder, genauer gesagt. Jeder der dreihundert sah sein irdisches Glück: schnurrend, am Steuer des gutgeölten Traktors sitzend, zum Holzeinschlag rollen.
    Der Holzeinschlag entfernte sich immer weiter. Die Gewinnung von Bauholz findet an der Kolyma in den Bachbetten statt, wo in tiefen Schluchten, sich nach der Sonne strekkend, die Bäume im Dunkeln, vor Wind geschützt, Höhe erlangen. Im Wind, im Licht, auf dem sumpfigen Berghang stehen Zwerge, verkrüppelt, verstümmelt und gequält von dem ewigen Sich-Drehen nach der Sonne, dem ewigen Kampf um ein Stückchen getauten Grund. Die Bäume an den Berghängen sehen nicht aus wie Bäume, sondern wie Mißgeburten, wie Stücke aus dem Kuriositätenkabinett. Und nur in den dunklen Spalten entlang der Betten der Bergflüßchen erlangen die Bäume Wuchs und Kraft. Die Holzgewinnung gleicht der Gewinnung des Goldes und wird an denselben Goldbächen betrieben, ebenso ungestüm und eilig – ein Bach, eine Rinne, Waschgerät, eine provisorische Baracke, ein ungestümer räuberischer Anfall, der das Flüßchen und das Land – auf dreihundert Jahre ohne Wald und auf ewig ohne Gold zurückläßt.
    Irgendwo gibt es ein Forstrevier, aber von was für einem Waldbau kann, bei einer Reifezeit der Lärche von dreihundert Jahren, die Rede sein – an der Kolyma mitten im Krieg, wo die Antwort auf Lend-Lease in einem ungestümen Anfall von Goldfieber besteht, gezügelt, übrigens, durch die Wachtürme der Zonen.
    Viel Bauholz und auch aufbereitetes, zerlegtes Brennholz blieb auf den Einschlagflächen liegen. Im Schnee versanken viele »dicke« Stammenden, die, kaum auf die zarten spitzen Häftlingsschultern geladen, auf die Erde fielen. Die schwachen Häftlingsarme, Dutzende Arme sind nicht imstande, einen Zweimeterstamm auf eine Schulter zu laden (so eine Schulter gibt es gar nicht) und diesen eisenschweren Stamm ein paar Dutzend Meter über Erdhöcker, Wagenspuren und Löcher fortzuschleppen. Viel Holz blieb liegen, weil das Rücken über unsere Kräfte ging, und der Bulldozer sollte uns helfen.
    Aber für seine erste Fahrt auf dem Boden der Kolyma, auf russischem Boden, wurde dem Bulldozer eine vollkommen andere Arbeit übertragen.
    Wir sahen, wie der schnurrende Bulldozer nach links abdrehte und

Weitere Kostenlose Bücher