Linna singt
haben so viel durcheinandergequatscht, fast immer über Musik, dass man sein eigenes Wort kaum verstanden hat. Doch nun traut sich niemand, den Anfang zu machen. Erwarten sie eine Erklärung von mir? Oder gar eine Entschuldigung – für etwas, was vor fünf Jahren geschehen ist?
Tobi räuspert sich ab und zu verlegen und linst dann für eine Sekunde hoch, mal zu Maggie, dann wieder zu mir, dann zu Jules. Unter dem Tisch will Luna sich gegen mein Bein lehnen, aber ich schiebe sie entschieden von mir weg. Seufzend gibt sie nach. Ihre Pfoten klacken auf dem Parkett, als sie ein Stück zur Seite tapst und sich neben Falk zusammenrollt.
»Was machst du eigentlich so, Linna?«, fragt Maggie unvermittelt und lässt die Gabel sinken, um mich anzusehen.
»Ich bin Kinderbuchillustratorin.«
Maggie lacht laut auf und auch die anderen heben erstaunt ihre Köpfe. »Ja, klar …« Maggie kriegt sich kaum mehr ein, doch ihr Kichern wirkt gekünstelt. »Kinderbuchillustratorin.«
»Dann google doch mal, wenn du es mir nicht glaubst.«
»Ich hab dich gegoogelt. Da findet man nichts. Gar nichts. Man findet heute über jeden was, der einer Arbeit nachgeht, sogar Falk findet man im Netz …«
»Du hast unter falschem Namen gesucht. Ich habe ein Pseudonym. Lissy Sommer.«
Maggie wirft Jules, der auf seinen Laptop stiert, als werde ihm dort in den nächsten Sekunden die göttliche Offenbarung verkündet, einen auffordernden Blick zu. Sie glaubt mir immer noch nicht. Dabei ist es wahr. Nicht gerade eine Berufung, dafür mit etlichen Vorteilen. Ich würde gerne weiterhin mit dem Malen mein Geld verdienen, von zu Hause aus, ohne Bürozeiten, Anwesenheitspflichten und einen nervigen Chef, der mir über die Schulter guckt, aber etwas weniger Glitzer und Rosa und Pink wären mir recht.
»Sie hat recht. Lissy Sommer gibt es. Kinderbuchillustratorin, hier steht’s, auf der Verlagsseite …«, berichtet Jules, nun etwas lebendiger als vorhin noch. Auch er muss schmunzeln. »Lilly, die freche Zauberfee oder Kampf um das verwunschene Einhorn …«
Oh Gott, ja, das Einhorn. Damals haben sie mich sogar zu einer Ausstellung in der Sparkasse überredet. Wäre doch schön, wenn die Kinder mal die Frau kennenlernten, die das Einhorn in ihren Büchern gemalt hat. War es nicht, ich hätte es ihnen vorher sagen können.
»Was hast du denn studiert?« Maggies Lachen ist verstummt.
»Kunst, was sonst?«
Jules klappt den Laptop zu. Nun schauen mich alle an, aber nicht mehr amüsiert, sondern staunend bis ungläubig. Ich muss ihnen ja nicht verraten, dass ich kurz vor dem Examen getürmt bin.
»Du hast die Aufnahmeprüfung geschafft? Das kriegt nicht jeder hin. Herzlichen Glückwunsch, Linna.«
Herzlichen Glückwunsch? Wann zieht Simon endlich den Stock aus seinem Arsch? Das ist ja kaum zu ertragen. Förmliche Glückwünsche zu einer Aufnahmeprüfung, die fünf Jahre zurückliegt?
Ich stehe auf, um mir ein neues Bier zu holen, meines schmeckt abgestanden und schal, doch im gleichen Moment erhebt sich Luna unter dem Tisch und hechtet zu mir; vielleicht denkt sie, ich gehe mit ihr Gassi. Mit einer Drehung meines Knies schiebe ich sie zu Falk zurück, aber als ich aufschaue, hat Simon in seinem Rotwein gebadet. Ich muss ihm bei meinem Hundeabwehrmanöver versehentlich den Ellenbogen in die Seite gestoßen haben. Sein Hemd und die Anzughose sind rot besprenkelt, er sieht aus, als sei er in einen Zombiekrieg geraten, bei dessen brutalen Schlachten direkt vor ihm ein Schädel explodiert ist. Maggie betupft ihn mütterlich mit ihrer Serviette, aber es ist schon zu spät, der dünne Stoff hat den Wein aufgesaugt wie ein Schwamm.
Simon äugt fragend zu mir hoch. Seine Brillengläser spiegeln das Deckenlicht so stark, dass ich seine Augen nicht sehen kann. »Bist du haftpflichtversichert?«
»Was!?«
»Ob du haftpflichtversichert bist. Kannst du das abklären? Dann würde ich Fotos davon machen und den Schaden melden.«
Den Schaden melden. Rotweinflecken auf seinem Anzug. Und er denkt sofort an eine Versicherung. Will die Flecken ablichten. Ich glaube, ich muss gleich laut schreien. Ich kenne diese Menschen hier nicht. Nicht einmal Maggie kenne ich. Das sind Fremde.
Erneut räuspert Tobi sich und schielt zu Maggie hinüber, die aufgegeben hat und Simons Anzug dem Schicksal und meiner nicht bestehenden Haftpflichtversicherung überlässt.
»Vielleicht sollten wir langsam mal … ähm …«
»Ja, sollten wir«, schneidet Maggie Tobi das Wort ab.
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