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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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»Die anderen wissen es ja schon, aber Linna noch nicht, deshalb … Linna, wir proben nicht hier. Wir fahren zusammen auf eine Hütte in den Bergen, kurz vor der österreichischen Grenze, für ein paar Tage, morgen früh, wir …«
    »Was machen wir?« Hab ich mich verhört? Hütte in den Bergen? Wir haben hier doch alles, was wir brauchen!
    »Freust du dich gar nicht?« Maggie schiebt die Unterlippe vor, wie ein Mädchen, das schmollt, weil es kein Pony bekommt.
    »Worauf? Wieso in die Berge? Warum proben wir nicht hier, im Keller, wie früher auch?«
    »Weil der Keller jetzt einen Pool und eine Sauna hat, da ist kein Platz mehr zum Proben. Wir können die Berghütte von Tobis Onkel haben, umsonst sogar, sie steht momentan leer. Da haben wir alle Ruhe, die wir brauchen, sind ungestört, können den ganzen Tag proben und belästigen niemanden, ist doch klasse!«
    Eine Hütte in den Bergen. Weit weg von hier … Warum hat Maggie in ihrem Brief nichts davon geschrieben? Eine Hütte – das klingt nach wenig Platz. Massenlagern. Schlafen dicht an dicht. Nicht einmal genug Deckenhöhe, um aufrecht zu stehen. Ablehnend schüttele ich den Kopf.
    »Jetzt stell dich nicht quer, bitte! Linna, alle haben zugesagt, wir freuen uns drauf, ich hab gedacht, du findest das gut … Du bist früher auf jede Klassenfahrt mitgegangen, die du kriegen konntest, und …« Maggie sucht verzweifelt nach neuen Argumenten. Gleich heult sie wieder. »Ist doch schön, eine Hütte im Schnee.«
    »Ich hab dir gesagt, dass es nicht so einfach wird«, höre ich Jules raunen. Jules und Maggie haben vorher miteinander darüber gesprochen? Wie lange ist Maggie eigentlich schon hier?
    »Wieso weiß jeder Bescheid, nur ich nicht?«, frage ich angriffslustig. »Na?«
    »Man findet dich ja nirgends! Wir haben uns die ganze Zeit schon auf Facebook darüber ausgetauscht und auf meinen Brief hast du nicht geantwortet«, verteidigt sich Maggie mit rotem Kopf. »Tobi muss sowieso hoch zur Hütte, er muss ein paar Sachen holen, und zuerst …«
    »Zuerst wollten Freunde von mir mitkommen, aber die haben jetzt vorgezogene Prüfungstermine«, eilt Tobi ihr zur Seite. »Also hab ich Maggie gefragt, ob sie jemanden kennt oder selbst mitwill …«
    »… und dann hab ich daran gedacht, die Band wiederzubeleben, weil ich das die ganze Zeit schon will, und ein paar Tage später erreichte mich der Brief vom Kulturamt, dass sie jemand suchen fürs Altstadtfest … das waren doch immer unsere besten Auftritte, Open Air … mit Heimvorteil … Das ist Schicksal, Linna! Glaub mir!«
    Ich stehe immer noch, bin drauf und dran abzuhauen. Schicksal. Na ja. Mir schoss dieser Gedanke zwar eben auch durch den Kopf, aber ich glaube nicht ans Schicksal. Jedenfalls nicht an ein wohlmeinendes.
    »Wir könnten Ski fahren. Und snowboarden«, meldet sich Jules zu Wort. »Wir müssen nur fürs Benzin blechen, Essen ist dort. Essen ist doch dort, oder?«
    Tobias nickt eifrig.
    »Gibt es Einzelzimmer?«
    Wieder nickt Tobi. »Ist eine große Hütte. Platz für uns alle.«
    »Mach nicht wieder alles kaputt, Linna. Bitte.« Nun klingt Maggie nicht mehr bissig oder verheult, sondern zutiefst erschöpft. »Komm mit uns. Es wird schön, versprochen.«
    »Ich denk drüber nach«, verkünde ich knapp, drehe mich um, schnappe mir einen Haustürschlüssel von der Kommode im Flur und gehe nach draußen, wo ich durch die einsamen, dunstigen Dorfstraßen von Neulußheim laufe, immer im Quadrat, bis die Lichter im Haus erloschen und alle zu Bett gegangen sind, aufgeteilt wie früher, Maggie in Jules’ Zimmer, die Jungs auf dem ausgebauten Dachboden. Doch ich bin zu wach, um zu schlafen. Ich muss eine Entscheidung fällen. In Jacke und Boots lasse ich mich in den Sessel neben dem erloschenen Kamin sinken und versuche zu ergründen, was ich will.
    Erst als meine Hände wie von selbst über das weiche, abgenutzte Leder der Armlehnen streichen, wird mir bewusst, dass ich in diesem Sessel früher schon mit Vorliebe herumlungerte, wenn Jules und ich zum hundertsten Mal Spiel mir das Lied vom Tod schauten. Wenigstens dieses Möbelstück ist geblieben und ich fühle mich in ihm ähnlich sicher wie damals. Sicher vor ihr. Als schirme mich dieses Wohnzimmer und Jules’ Gegenwart vor ihr ab. Wenn ich mehr davon haben will, muss ich mit ihnen fahren, weit weg, in die Berge. Denn dort oben wird sie mich nicht erreichen können. Sie wird gar nicht wissen, wo ich bin. Bis hierhin wird sie meine Spur noch verfolgen

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