Linna singt
ich weiß nicht … Ich konnte sie nicht allein lassen. Ich konnte es nicht!« Simon hält inne und blickt angespannt in sich hinein, als wolle er überprüfen, ob er die Wahrheit sagt. Ich zweifle nicht an ihr. Auch Schlampen können einsam sein. »Ich mochte ihre Stimme und ihren Mund, wenn sie redete. Und dann haben wir zusammen eine Flasche Sekt getrunken und es doch getan und sie hat gesagt, dass sie mir vertrauen würde, wir könnten auf das Gummi verzichten, ich sei ja noch Jungfrau und sie nehme die Pille. Tja, so viel zu diesem Thema.« Simon lacht spöttisch auf. »Ich war so dumm, es zu glauben. Ich dachte auch, dass wir die ganze Nacht zusammen verbringen und morgens zusammen frühstücken, ich hab sogar überlegt, länger auf Mallorca zu bleiben … Aber sie hat mich nur angegrinst, ihre Lippen nachgezogen und sich bei ihrer Freundin untergehakt. Ein Winken, ein Luftküsschen und weg war sie. Immerhin hab ich nicht dafür bezahlen müssen, nur für den Sekt, und sie hat mich auch nicht beklaut. Es war alles noch da.«
»Und Jules? Wie war es bei ihm?«
»Gar nichts. Das ist es ja.« Erneut erklingt sein hartes, spöttisches Lachen. Ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen. »Er hat gar nicht mit der anderen geschlafen. Deshalb wollte sie ja zurück zur Disco. Jules muss kurz vorher gekniffen haben. Das ist das, worüber ich nicht hinwegkomme, Linna. Er hat gekniffen und ich, der brave Simon, ich habe das erste Mal Sex mit einem Mädchen und schwängere es. Erst gab es viel Tränen und Trara, ich sagte, dass ich für sie da bin und mich kümmere, war sogar bereit, zu ihr nach Hamburg zu ziehen, doch plötzlich hatte sie eine andere Telefonnummer und eine andere Wohnung und nahm nicht mehr ab, wenn ich anrief … Kannst es dir denken. Ein neuer Mann in ihrem Leben, der die Vaterrolle übernehmen will, und er hat sich so breitgemacht, dass ich keine Chance habe. Für ihn bin ich nur ein kleiner Scheißer. Ein paarmal hab ich mir erkämpft, die Kleine zu sehen, doch im Moment verweigert sie jeden Kontakt …«
»Weiß Maggie davon?«
»Klar. Maggie weiß alles von mir. Aber Jules weiß es nicht und Falk auch nicht. Wäre mir recht, wenn das so bleibt.«
»Von mir erfahren sie nichts«, beruhige ich ihn, obwohl ich finde, dass es weitaus Anrüchigeres gibt, als ein uneheliches Kind gezeugt zu haben, das man nicht sehen darf. Trotzdem wäre ich in meinen kühnsten Träumen nicht auf die Idee gekommen, dass ausgerechnet Simon so etwas passiert. Aber eigentlich passt es: Er war immer ein wenig zu gutgläubig, hat nie Schlechtes von anderen Menschen gedacht. Genauso, wie es jetzt zu ihm passt, derart überkorrekt und pedantisch zu sein. Als wolle er jede Sekunde beweisen, dass er Verantwortung tragen kann – auch und erst recht für ein kleines Kind. Und das könnte er, daran habe ich keinen Zweifel. Er würde alles andere zurückstellen, um seine Aufgabe zu erfüllen.
»Ich wäre jetzt gerne allein«, verkündet er nach einigen leeren Schweigemomenten, in denen er beharrlich meinem Blick ausgewichen ist. »Und bitte ruf keine Hilfe, ja? Ich sterbe schon nicht. Ich hatte vorhin nur Angst, dass …« Er redet nicht weiter, aber das muss er auch nicht. Jedem liebenden Vater muss es so ergehen, wenn er sich in Gefahr wähnt: Er macht sich nicht Sorgen um sich, sondern darum, sein Kind noch einmal zu sehen.
Ob Simon mir nun glaubt, dass ich all die seltsamen Dinge nicht getan habe? Oder genügt es, Zweifel an seiner Version gesät zu haben? Simon ist ein kluger Kopf, ich vertraue darauf, ohne ihn danach zu fragen, stehe auf und ziehe mich wortlos aus seinem Zimmer zurück, um nach oben zu Falk zu schleichen.
Er hat direkt neben der Tür auf mich gewartet. Als ich den Raum betrete, spüre ich seine Gegenwart, ohne ihn zu sehen. Doch dieses Mal habe ich keine Angst, dass es jemand anderes sein könnte. Sanft stupse ich meinen Handrücken gegen seinen Oberschenkel.
»Na endlich. Wo warst du die ganze Zeit?«
»Bei Simon, wo denn sonst.« Ich bleibe neben ihm stehen, unschlüssig, was ich nun tun soll. Ihm alles haarklein weitererzählen oder Simons Geheimnis bewahren? »Ich habe ihm sein Handy zurückgegeben.«
»Und gesagt, dass ich es weggenommen habe?«
»Nein. Er denkt, ich bin es gewesen, und ich habe ihm diesen Glauben gelassen.« Hoffentlich hört Falk mir an, dass das eigentlich eine Nettigkeit zu viel war. Aber ich habe es nicht geschafft, ihn bei Simon anzuschwärzen. Ich weiß ja, warum er es
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