Linna singt
anzuschauen, aber es ist dunkel, er kann mich nicht sehen und ich möchte mit meiner Nase an seiner Achselhöhle bleiben. Selbst wenn Jules jetzt mit dem Blick eines Wahnsinnigen und der Axt in der Hand auf den Dachboden stürzt, er wird mich nicht dazu bewegen können, mich von Falk zu lösen. Das hier ist ein guter Platz, um von einer Axt enthauptet zu werden.
»Hmhmmm«, mache ich seufzend. »Es ist außergewöhnlich. Ich hab doch meinen Geruchssinn verloren …«
»Du hast was? Mozzie, du darfst gleich weiterschnüffeln, aber jetzt rede mit mir, ja? Du hast deinen Geruchssinn verloren? Ist das wahr?«
Habe ich das nicht erwähnt während unseres Gespräches in seinem Zimmer? Nein, stimmt, habe ich nicht – ich habe es ausgelassen, weil es mir vorkam wie eine Behinderung, denn das ist es im Grunde auch, und zwar eine weitaus größere, als die meisten Menschen sich vorstellen können.
»Ja, habe ich … nach der Bandauflösung …«, murmele ich wie in Trance. Bis heute ist nicht klar, wie es dazu kam, ich rannte von einem Arzt zum anderen, während ich immer weniger roch und schmeckte, bis einer vorsichtig erwähnte, dass manche Menschen ihren Geruchssinn durch ein traumatisches Erlebnis oder eine Depression verlören.
»Ich habe keine Depression!«, brüllte ich ihn erbost an und verließ seine Praxis im Laufschritt. Seitdem lebe ich damit, mal besser, mal schlechter. Ohne Diagnosen.
»Es ist scheußlich«, wispere ich in Falks Pulli. »Ich fühle mich ab und zu völlig orientierungslos und blind.«
»Aber das bist du ja auch.« Falk legt den anderen Arm ebenfalls um mich. Ob er deshalb Luna unten gelassen hat? Damit er solche Dinge tun kann, ohne dass sie vor lauter Eifersucht einen Herzanfall bekommt? Nun, jetzt stehe ich kurz vor einem Herzanfall. Ich sehe ihm mit Freuden entgegen. »Du kannst die anderen Menschen um dich herum nicht riechen. Das ist so, oder? Aber damit orientieren wir uns, über das, was wir sehen, das, was wir hören, und das, was wir riechen. Erst dann fühlen wir. Dir fehlt mindestens ein Drittel … all die feinen Botschaften kannst du nicht wahrnehmen, die Duftstoffe und Pheromone …«
»… ich rieche deine Pheromone …« Ich grabe meine Nase noch etwas tiefer in seinen Pulli und spüre, wie er ein Lachen unterdrückt. »Doch, eindeutig Pheromone, eine ganze Armee …«
»Ich glaube, jetzt versteh ich dich besser«, flüstert Falk gedankenversunken und legt sein kratziges Kinn wieder auf meinen Kopf. »Du hast gar nicht die Möglichkeit, die Menschen um dich herum besser einzuschätzen. Wenn man Haien den Geruchssinn ausschaltet, sind sie jagdunfähig und schutzlos. Sie können sich nicht mehr ernähren und sie können auch keine Feinde mehr orten. Wusstest du, dass Haie einen Duftstoff in der Verdünnung eins zu zehn Millionen wahrnehmen können?«
Nein, das wusste ich nicht und ich finde es auch nicht sonderlich schmeichelhaft, mit einem Hai verglichen zu werden, aber ich weiß etwas, was ich wesentlich spannender finde: Ich weiß, dass Falk anders riecht als früher. Ich erkenne ihn und doch erkenne ich ihn nicht. Es müssen die Haare auf seinem Körper sein, die seinen Duft verändert und intensiviert haben, so herb und würzig.
»Zum Thema Haie …« Ich bin noch immer trunken von seinem Duft, aber ich sollte versuchen, bei mir zu bleiben und nicht bei ihm. Und ich sollte darauf bauen, dass mein Deo nicht versagt hat. Das beunruhigt mich fast am meisten an dieser ganzen blöden Nasengeschichte – ich weiß nie genau, ob ich stinke oder nicht. Ich dusche nach dem Aufstehen wie andere Menschen auch und ich dusche nach dem Sport. Öfter nicht. Ich rasiere mich sorgfältig unter den Achseln und benutze ein extrastarkes Deo. Früher habe ich nicht gerochen, jedenfalls nicht nach Schweiß, aber vielleicht hat mein Körper sich ebenso verändert wie Falks. Wobei ich garantiert keine Haare auf der Brust habe. Und auch nicht auf den Beinen. Nur dort, wo meiner Meinung nach welche sein sollten. Gemäßigt, aber vorhanden. Wollte ich ihn nicht etwas über Haie fragen? »Ist dir nie etwas Gefährliches passiert in all den Jahren?«
»Doch, schon. Einmal gab es eine kritische Situation, aber daran war ich selbst schuld. Ich hab in der Abenddämmerung mit der Harpune unter Wasser gejagt und bin wohl einem Hai ins Revier geraten. Er hat mich gerempelt und ist dann weitergeschwommen und ich hab zugesehen, dass ich nach oben komme, bevor er ernst macht. Aber ansonsten,
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