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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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rechte Ohr, eine Geste, die er sich schon damals angewöhnt hat. Plötzlich sehe ich ihn vor mir, wie er früher war, mit seinem drolligen Mondgesicht und den grau karierten Hemden, die er immer trug – stimmt, Sex-Appeal ist etwas anderes, doch die wenigsten Jungs in diesem Alter haben echten Sex-Appeal. Man sollte sich nicht mit Jules vergleichen, da zieht man den Kürzeren, aber Simon war weder hässlich noch ein Trottel, mit dem man nur Mitleid haben konnte. Er war immerhin Bassist in einer Band, über die die ganze Stadt redete.
    »… das Komische ist, dass mich das eigentlich gar nicht störte. Wenn ich mit euch Musik gemacht habe, habe ich mich vollständig gefühlt, ganz ohne Mädels und Sex und den ganzen Kram.« Ich überlege, was er wohl mit dem »ganzen Kram« meint, lasse ihn aber weiterreden. »Mir war gar nicht danach, es auszuprobieren. Alleine habe ich mich sowieso nicht gefühlt. Ich hab ja Maggie.«
    Ich habe immer einen leisen Stich im Herzen verspürt, wenn die beiden ihre Innigkeit demonstrierten, und so ist es auch jetzt. Zwillinge. Von Geburt an zusammen und auf ewig miteinander verbunden. Sie haben sich schon den Mutterleib geteilt. Wie muss sich das anfühlen, wenn da immer jemand ist, dem man sich anvertrauen kann, der einen verteidigt und beschützt? Ich habe mir früher sehnlichst einen großen Bruder gewünscht, aber einen Zwillingsbruder zu haben, muss das Nonplusultra der geschwisterlichen Zweisamkeit sein. Ich bin überzeugt, dass vieles anders gekommen wäre, wenn ich nicht immer so verflucht allein mit ihr gewesen wäre.
    »Aber Maggie war nicht dabei.«
    »Nein«, entgegnet Simon mit düsterer Miene. »Dabei hätte es zum ersten Mal Sinn gemacht, mich zu beschützen. Jedenfalls, Jules und ich sind in eine Disco gegangen, ein ziemlich großer Schuppen, und als wir nach einer Weile frische Luft schnappen wollten, haben uns zwei junge Frauen angesprochen. Na, junge Frauen, ich weiß nicht … ich konnte das schlecht einschätzen, sie hatten sich aufgemotzt, aber viel älter als wir konnten sie nicht sein. Die eine war sehr hübsch, mit allem Drum und Dran, was sich Männer bei einer Frau so wünschen …« Simon wirft einen gedankenverlorenen Blick auf meinen Busen. Also so wie ich, meint er. Doch er merkt gar nicht, dass er starrt. »Die andere war stiller, aber … sie hatte so schöne Augen.«
    Und ich gehe davon aus, dass die beiden Frauen nicht zufällig vor dieser Disco herumlungerten. Wahrscheinlich wird er mir gleich erzählen, dass anschließend sein Geldbeutel und sein Handy verschwunden waren. Oh Simon …
    »Ich weiß, Lavinia. Ich bin dumm und naiv gewesen. Aber ich dachte wirklich, dass sie mich mag!«
    »Ich glaub dir das, Simon, reg dich nicht auf, bitte. Ich mag dich doch auch.«
    »Aber du würdest nicht mit mir ins Bett gehen …« Simon beißt sich auf die Zunge und schweigt, als er merkt, was er da sagt. Was soll ich darauf antworten? Die Wahrheit?
    »Du warst in erster Linie ein Kumpel für mich. Aber vielleicht wäre es mit dir besser geworden als mit den Männern, mit denen ich es schließlich getan habe. Ich habe nicht gelogen beim Flaschendrehen, Simon. Ich war genauso unerfahren wie du in diesem Alter.«
    Ich übertreibe ein wenig; ich war vermutlich die ungekrönte Pettingkönigin von Speyer Mitte, aber vor meinem neunzehnten Lebensjahr hatte ich auch davon noch nichts erzählen können. Ich frage mich plötzlich ernsthaft, warum Simon und ich uns nicht zusammengetan haben. Ich habe das oft gedacht: dass man seine Jungfräulichkeit nicht mit seinem Partner, sondern bei einem seiner besten Kumpels verlieren sollte. Man macht sich einen gemütlichen Abend, trinkt etwas und dann tut man es, in dem beruhigenden Wissen, dass einem nichts peinlich sein muss und es auch nicht die Beziehung gefährdet, wenn das Ganze in einem Desaster endet.
    »Hm«, macht Simon und ein schwaches Grinsen huscht über sein blasses Gesicht. »Na gut. Um zurück zu dem Abend zu kommen … Jules zog sich irgendwann mit seiner Tussi an den Strand zurück und ich wusste überhaupt nicht, was ich jetzt mit Yasmin tun soll. Also sind wir erst einmal spazieren gegangen, ebenfalls am Strand, und ich wurde immer nervöser und angespannter, weil ich mich kaum getraut hab, sie anzufassen, und irgendwann hab ich versucht, ihr zu erklären, dass ich noch Jungfrau bin und es besser ist, wenn wir beide nach Hause gehen, aber dann lächelte sie mich an und dieses Lächeln … dieses Lächeln …

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