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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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getan hat.
    »Du hast etwas erfahren, oder?«, fragt Falk in das schwarze Nichts um uns hinein. »Etwas Wichtiges?«
    »Ja, aber es ist nichts, was mit Jules oder Maggie oder der Band zu tun hat«, flunkere ich. »Ich will nicht darüber reden, Falk. Ich hab es versprochen. Und ich halte meine Versprechen.«
    Oh, ich würde so gerne mit ihm darüber reden … Merkt er das nicht? Falk greift wie vorhin nach meiner Hand, führt mich aber nicht zu unserem Versteck hinüber. Fragend drehe ich mich zu ihm um. Meine Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt, sodass ich seine hoch aufragende, kräftige Silhouette vor mir wahrnehmen kann, die sich wie eine schwarze Statue von dem Anthrazit der Wand hinter ihm abzeichnet. Seine Augen bleiben mir verborgen, und selbst wenn ich sie sehen könnte, wären sie grau und nicht blau. Die Nacht hat keine Farben. Wie ich.
    »Entscheide dich, Linna. Jetzt. Vertraust du mir oder nicht?«
    »Ich …« Jetzt fängt er schon wieder damit an! Was soll ich nur tun? Wäre es nicht vollkommen töricht, ihm zu vertrauen? Oder wäre es töricht, es nicht zu tun? Vielleicht ist diese hier eine jener Situationen, in denen man sich mit einem anderen Menschen zusammentun muss, um gemeinsam stärker zu sein, als man es allein vermag. Auch wenn diese Entscheidung das Risiko birgt, sich zu irren. Noch vor wenigen Tagen hätte ich meine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass Jules mir niemals etwas antun würde, und ihm eine ausgezeichnete geistige Gesundheit attestiert. Und jetzt? Jetzt wollen wir ihn hier oben auf frischer Tat ertappen, weil er mir das Leben zur Hölle macht. Trotzdem, Falk hat recht: Das geht nur, wenn wir uns offen begegnen. Und genau das haben Jules und ich nie aufrichtig getan. Wir haben zusammen geschwiegen, nicht geredet. Hätte ich nur einmal mit ihm über unsere Gefühle gesprochen, hätte ich viel eher gewusst, dass er mich liebt, und ihm das aus dem Kopf schlagen können. All diese scheußlichen Dinge hier wären nie geschehen.
    »Okay. Ja. Ich tue es.« Ich hole tief Luft, um den Schwindel aus meinem Kopf zu vertreiben. »Ich vertraue dir.«
    »Danke.« Ich weiß nicht, ob es ein aufrichtiges oder ironisches Danke war, doch den bekräftigenden Druck seiner Hand um meine Finger spüre ich noch immer, als wir zurück unter das Dach aus Papier gekrochen sind und er mich mit dem Rücken zu sich zwischen seine aufgestellten Beine schiebt, um mich besser hinter dem Flipchart verbergen zu können.
    »Wo ist eigentlich Luna?«, frage ich beiläufig und merke, dass sie mir fehlt. Und ich merke, dass ich noch maximal eine Minute in dieser Haltung bleiben kann, ohne Krämpfe in den Beinen und im Rücken zu bekommen. »Sorry, geht nicht anders«, murmele ich und lasse meine Schultern gegen Falks Brust sinken. Besser.
    »Luna ist in meinem Zimmer und ich hoffe, da bleibt sie auch. Sie wollte natürlich mitkommen, aber das ist zu riskant.« Falk legt sein Kinn auf meinem Scheitel ab. Ich spüre, wie sein gleichmäßiger Atem meine feinen, kurzen Haare bewegt und meine Kopfhaut kitzelt. Warum sind wir noch einmal hier oben?, überlege ich zerstreut. Ah, genau. Wegen der Schmierereien an der Wand. Wir glauben, dass Jules ein drittes Mal zuschlagen wird. Was nicht zwingend sein muss, aber im Bereich des Möglichen liegt. Und dann?
    »Was machen wir überhaupt, wenn er hochkommt? Was tun wir dann?«, frage ich schläfrig und lasse meine Lider für einen Moment herabfallen. Es macht müde, anderen Menschen zu vertrauen. So müde … Eine solche Müdigkeit habe ich noch nie erlebt. Ich fühle mich plötzlich zart und zerbrechlich und doch in Sicherheit. Aber ich würde in tausend feine, dünne Scherben zerspringen, wenn ich mich jetzt von Falk löste. »Ich meine, was ist, wenn Jules gewalttätig wird? Na, sollte es Maggie sein, haben wir leichtes Spiel, aber …«
    »Du glaubst doch nicht etwa immer noch, es könnte Maggie sein, oder?«, unterbricht mich Falk und legt seinen Arm auf meiner Schulter ab, sodass sich seine Hand nun irgendwo schräg rechts vor meinem Mund befinden müsste. Ich bräuchte meinen Kopf nur ein kleines Stückchen zur Seite zu bewegen, um sie mit meinen Lippen zu streifen. »Nein, niemals Maggie«, sagt Falk aus tiefster Überzeugung. Tja, ich sehe das anders, aber ich bin zu träge, um es auszudiskutieren.
    »Dann bleibt ja nur Jules. Oder denkst du, Simon war es?«
    »Ach, woher. Ich denke schon die ganze Zeit an Jules. Aber du weißt doch: In dubio pro reo.« Zu Simon

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