Linna singt
Badezimmer. Seine Bemerkung, dass es so einfach nicht werde, mich zum Proben in der Hütte zu überreden. Ihr Wissen über seinen Beruf, die Tatsache, dass sie ihn darin verteidigt hat, dass sie ihn Julian nennt, sie nennt ihn Julian … Sie ist seine Ehefrau.
»Wir haben es dir nicht gesagt, weil …« Jules bricht ab.
»Weil ich nicht wusste, wie du reagierst«, beendet Maggie seinen Satz flapsig.
»Und Angst hattest, dass ich nicht mit euch auf die Hütte komme, um mit euch zu proben? Ist es das?«
Maggie antwortet nicht, ihre Augen haben sich an ihrem Ring festgebissen. Also ja. Verflucht, wie kann Maggie immer noch glauben, ich stehe mit ihr in Konkurrenz um Jules? Und Jules lässt sich auch noch auf dieses Spiel ein! Früher hätte er sie für einen solchen Plan ausgelacht.
Maggie hebt den Blick. »Wir hatten eben keinen Bock, dass du durchdrehst.«
»Wann bin ich jemals durchgedreht, Maggie?«
Meine Stimme ist nach wie vor eisig, ich bin beherrscht und ich werde es auch bleiben.
»Du drehst ständig durch«, antwortet Maggie trotzig.
»Drehe ich durch? Drehe ich gerade durch?« Wieder schaue ich einen nach dem anderen an. Tobi ist tief in die Bank gesackt, traut sich nicht, mir in die Augen zu gucken. Bei Falk blicke ich in kühles blaues Nichts, Simon wendet sich von mir ab, Jules’ Pupillen flackern. Niemand antwortet. Niemand bewegt sich, aber trotzdem bin ich die Ruhigste von allen. Jules beißt sich auf die Unterlippe, doch er hält mir stand.
»Warum hast du es mir nicht gesagt, Jules?«
Ich muss ihn das fragen, obwohl ich nicht erwarte, dass er es begründet. Denn er kann es nicht begründen. Wir haben damals so viel Zeit miteinander verbracht, er muss wissen, dass ich nichts von ihm will! Doch er sagt nichts.
»Du kannst eben nicht immer gewinnen, Linna!«, ruft Maggie mir hinterher, als ich durch den kalten Flur zu meinem Zimmer gehe und die Tür zuschlage, die Nudeln wie ein ungesunder, teigiger Klumpen in meinem Bauch. Ich fühle mich steif und ungelenk, während ich mich rücklings auf die Matratze sinken lasse, es fällt mir sogar schwer, die Bettdecke über meinen Leib zu ziehen.
Jules und Maggie sind verheiratet. Verheiratet … Es muss eine große Feier gegeben haben. Maggie heiratet nicht, ohne es kundzutun. Vielleicht war Falk eingeladen, wer weiß. Simon wird der Trauzeuge gewesen sein. Ein rauschendes Fest und niemand hat mir etwas gesagt. Nicht ein Sterbenswörtchen.
Es dauert Minuten, bis ich glauben kann, was ich eben erfahren habe, und wieder in der Lage bin zu denken, anstatt alles kurz und klein schlagen zu wollen. Ja, es passt. Es passt zu Maggie und ihrer unsterblichen Liebe zu Jules, ihrer Bereitschaft, für ihn zu kämpfen und jeden anderen Mann zu ignorieren. Und doch passt es nicht. Es passt nicht zu Jules.
Rede ich mir das nur ein, weil ich enttäuscht von ihm bin? Weil er mitgemacht hat und weil er Maggie glaubte, es sei besser, mir erst hier oben zu sagen, dass sie ein Paar sind? Wie lange läuft das zwischen den beiden eigentlich schon? Hatte es bereits angefangen, während wir noch die Band hatten? Aber dann hätte Maggie die Auflösung von Linna singt nicht derart den Boden unter den Füßen weggerissen, dann hätte sie Jules ja sichergehabt. Und es wäre unerheblich gewesen, ob die beiden zusammen Musik machen oder nicht. Doch nun muss ich daran denken, wie still Jules an jenem Morgen war, als Maggie ihre Studienplatzzusage für die Musikhochschule in Würzburg bekommen hat. Weil er wusste, dass sie weggeht und sie sich nur noch selten sehen können? War er zu diesem Zeitpunkt schon in sie verliebt?
Liebt er Maggie aufrichtig, ist das wahr? Warum hat er dann jahrelang dieses Katz-und-Maus-Spiel mit ihr getrieben und sich nicht früher klar zu ihr bekannt? War ich so blind, dass ich seine Gefühle für sie nicht sehen konnte?
Das Rauschen und Trommeln des kalten Regens macht mich müde, doch es jagen zu viele Gedanken durch meinen Kopf, als dass ich Ruhe finden könnte. Im Halbdämmer lausche ich auf die Geräusche der Hütte. Das Trappeln von Schritten, Stochern im Ofen, Gluckern in den Wasserleitungen. Es dauert nicht lange, bis es still wird. Es war ein langer, harter Tag. Alle außer mir wollen nur eines: schlafen. Denn proben können sie ohne mich nicht.
Nur ich werde von Minute zu Minute nervöser. Es kommt mir vor, als würden die Wände meines kleinen Zimmers dicker, als würde ich mir selbst mit jedem Atemzug den lebensnotwendigen Sauerstoff
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