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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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verwende keine aufwendigen Kuren, kein Styling, nur meinen Ebenholzkamm. Das ist ihr Geheimnis. Simpel, aber wirkungsvoll. Zum Glück werden sie nicht schnell fettig; mir ist nicht danach, sie mit kaltem Wasser zu waschen. Ich lasse die Decke über meine nackten Schultern gleiten, nur ein Stückchen, damit ich die zarten Liebkosungen meines Haars auf meiner Haut fühlen kann. Einen Moment lang schließe ich die Augen und koste das Gefühl der Sonne auf meinem Gesicht aus, obwohl das Fenster ihre direkten Strahlen abhält und draußen vermutlich Temperaturen um den Gefrierpunkt herrschen. Auf einmal kommt mir der gestrige Abend wie ein Spuk vor, unwirklich und albtraumhaft – und erst recht das, was ich erfahren habe. Maggie und Jules sind verheiratet. Sie haben es mir die ganze Zeit verschwiegen. Aufseufzend hebe ich meine Lider wieder und sehe Jules dabei zu, wie er mit den Händen Schnee in die Luft schaufelt und versucht, ihn Falk entgegenzuwirbeln, und frage mich, was Maggie fühlt, wenn sie ihn dabei betrachtet. Stolz? Ein fast unerträgliches Maß an Liebe? Lust? Sie ist in ihn verknallt, seitdem sie vierzehn war, sie muss vor Liebe platzen und vermutlich auch vor Stolz, aber wieso sieht man es ihr nicht an? Wieso wirkt sie so gestresst auf mich? Es kann doch nicht sein, dass sie immer noch ernsthaft dieser Idee nachhängt, ich könne ihn ihr streitig machen. An welchen Fronten kämpft sie eigentlich?
    Ich löse meinen Blick von den Jungs und lasse meine Augen über das Bergpanorama gleiten. Ja, Tobi hat nicht zu viel versprochen, als er uns mit Hüttenromantik lockte. Nun ist sie da. Weit und breit nichts als verschneite Tannen, Hänge und die Gipfel der umliegenden Berge, es müssen mindestens Zweitausender sein. In der Ferne kann ich einen türkisblauen See erkennen und ich glaube, ganz schwach die typischen Geräusche eines Skilifts zu hören, aber in unserem direkten Umfeld sind wir Alleinherrscher über Eis, Himmel und Schnee. Kein Wölkchen trübt das Blau, das uns umgibt, doch die Sonne hat einen Halo, einen dünnen schillernden Ring. Es wird nicht lange so schön bleiben wie jetzt.
    Plötzlich halten die Jungs inne. Jules stützt die Hände auf den Knien auf, um zu Atem zu kommen, während Falk sich mit der flachen Hand den Schnee aus dem Scheitel fächert. Tobi ist außer Puste und hat sich in angemessenem Abstand zum steif gefrorenen Simon auf eine Bank gesetzt – aber wo schauen sie hin? Kommt da jemand? Angespannt erhebe ich mich und vergesse für einen Moment sogar meine Haare. Ja, es nähern sich zwei Wanderer auf Tourenskiern, jetzt sehe ich sie auch, sie heben ihre Stöcke und winken zu unserer Hütte herüber, rufen den Jungs etwas zu. Falk springt mit einem Satz auf eine Bank, winkt zurück und reckt dann beide Daumen hoch. »Alles okay!«, höre ich ihn rufen. Die beiden Männer heben noch einmal grüßend die Stöcke und ziehen weiter. Schon nach wenigen Sekunden sind sie hinter einer Gruppe Tannen verschwunden.
    Mit einem Seufzer der Erleichterung lasse mich zurück auf den Hocker sinken. Dreh nicht durch, Linna, ermahne ich mich in Gedanken. Du siehst Gespenster … Sie kann dich nicht finden und sie kann auch niemanden schicken. Keiner weiß, dass du hier bist. Selbst Martin weiß es nicht. Er denkt, dass du noch bei Freunden steckst, ohne ihre Namen zu kennen oder gar eine Adresse. Kein Grund zur Unruhe. Es waren nur zwei Männer aus dem Dorf, die nachschauen wollten, ob wir gut angekommen sind.
    Sobald der Kamm wie von selbst durch mein Haar gleitet, lasse ich es gut sein, ziehe mich an und laufe durch den dämmrigen Flur in die Stube. Maggie sitzt auf der kurzen Seite der Eckbank, abgewandt vom Fenster, und presst die Fingerspitzen gegen ihre Schläfen. Vor ihr stehen ein Becher, aus dem Dampf aufsteigt, und ein Glas Wasser.
    »Morgen.«
    Sie fährt zusammen, dreht sich aber nicht um. »Guten Morgen.«
    »Alles okay mit dir?«
    »Migräne«, antwortet sie schwach. »Und schrecklicher Muskelkater. Ich kann meine Arme nicht mehr heben …« Unnatürlich langsam beugt sie sich vor und nippt an ihrem Glas Wasser.
    Wenn ich jetzt direkt neben ihr mit dem Geschirr zu hantieren beginne, wird ihr Kopf explodieren. Ich gebe ihr ein paar Minuten, bleibe aber in der Tür stehen. Wie ein Vögelchen trinkt sie in winzigen Schlucken das Glas Wasser leer und massiert mit der linken Hand ihre Schläfe. Wahrscheinlich hat sie gerade eine Tablette genommen und wartet sehnlichst darauf, dass die

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