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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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zerstört gewesen sein, als sie gestern nach oben kam. Selbst das Clavinova war eine leere Versprechung. Es ist ein einfaches Klavier für den Hausgebrauch, das vermutlich fürchterlich verstimmt ist, da auf diesem Dachboden ständig die Temperatur schwankt.
    Ich umrunde Falks abgenutzte Akustikgitarre und Simons Bass und lasse mich auf dem kleinen Hocker hinter dem rudimentären Schlagzeug nieder. Jules wird es nicht stören, nur solch dürftige Möglichkeiten zur Verfügung zu haben. Ihm würden im Notfall auch zwei Kochtöpfe genügen. Er war nie ein Drummer, der ein großes Set mit Double-Basedrum und etlichen Becken und Snares benötigte, um zu Hochform aufzulaufen. Am liebsten mochte ich ihn sowieso an den Percussions. So cool und lässig er sich dabei gab, so sensibel und minimalistisch war sein Spiel.
    Zögernd ziehe ich den eng bedruckten Zettel von der Snare. Es scheppert vertraut, als der Kugelschreiber, mit dem Jules das Papier beschwert hat, über das gespannte Fell rollt. Sofort geht mein Puls schneller. Eigentlich will ich die Songliste nur rasch überfliegen, doch meine Augen beißen sich im Nu an den Buchstaben fest und augenblicklich entstehen Fluten von Erinnerungsfilmen in meinem Kopf, die ich nicht mehr aufhalten kann.
    Stop von Sam Brown, na klar, das konnte Maggie bei ihrer Planung nicht auslassen, schon wegen des Backgroundgesangs, in den sie gemeinsam mit Simon und Falk einstimmen durfte, und des Teils mit der Hammondorgel. Es war ihr Teil! Sie hat es wirklich gut gemacht, wir kamen nah ans Original heran, übertrafen es vielleicht sogar. »Youd better stop before you go and break my heart …« Schon beginnt mein Mund Silben zu formen, weil die Lyrics auf meine Zunge perlen, als habe ich sie gestern das letzte Mal in Musik verwandelt. In Momenten wie diesem verdanke ich es allein meiner Selbstbeherrschung, dass meine Kehle stumm bleibt. Noch schwieriger wäre es, wenn ich dieses Lied hören würde. Wie oft … wie oft habe ich in den vergangenen Jahren an meinem Zeichentisch gesessen, die Kopfhörer in den Ohren, und lautlos mitgesungen, bis meine Stimmbänder so schmerzten, dass ich aufhören musste. Nicht mal flüsternd zu singen wagte ich. Zu groß die Furcht, bereits beim ersten echten Ton zu erkennen, dass meine Stimme nur noch ein heiseres Hauchen ist, wie in meinen Träumen …
    Der nächste Titel macht es kaum besser; Chains von Tina Arena. Wieder ein Song, der wie geschaffen für Maggie ist, der Keyboard-Klangteppich baut sich nach und nach zu einer mächtigen Welle auf und im Background hat sie ebenfalls ordentlich zu tun, doch damals war es auch ein Song wie geschaffen für mich. Ich erschauere, als ich daran denke, wie wir ihn auf der Domwiese performt haben, in den ersten Takten Falk und Jules synchron fingerschnippend, dazu mein Gesang, sonst nichts, Spots nur auf uns drei, bis die Instrumente einsetzten und Maggie einen Sound über den anderen legte. Darin war sie großartig, sie erinnerte mich dabei immer ein wenig an Sister Bliss von Faithless, eine Göttin an den Tasten; was live ging, bediente Maggie live, das war für sie Ehrensache, auch wenn es den gesamten Song zerstören konnte, wenn etwas schieflief oder wir nur einen Takt zu viel spielten. Es schränkte uns in unseren Improvisationen ein, dass Maggie derart exzessiv mit ihren Samples hantierte, aber es machte etwas her, wir hatten einen fetten Sound wie keine der anderen Coverbands, die ich jemals gehört habe. Und das bei nur fünf Mann Stammbesetzung. Wir liehen uns höchstens mal einen Saxofonisten aus, wenn auch ungern, weil jeder, der von außen kam, uns auch ausbremsen konnte.
    Ja, ich kann gut verstehen, dass Maggie ohne ihr eigenes Keyboard nicht hier hochwollte. Aber sie hat auch noch eine Stimme, es gab Songs, in denen die Keys sogar schwiegen. Mir waren sie fast die liebsten. Gerade, ehrliche Rocksongs, geschrieben für Gesang, Gitarre, Bass, Drums. Fertig, aus. Wie Weak von Skunk Anansie … Ich muss nur daran denken und verspüre die gleichen Empfindungen wie damals, als ich es sang; ich werde das niemals vergessen, es hat mir Angst gemacht. Ich glaubte, dass ich keinen Ton hervorbringen würde, so brutal war der Schmerz in meiner Kehle und in meinem Kopf, ein Gefühl, als müsste ich schreien oder kotzen, sobald ich singe. Mir entglitt jegliche Kontrolle, der ganze Song brach wie eine Lawine über mich herein und nicht nur über mich … Ich muss schlucken, als ich mich an den kurzen Moment

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