Linna singt
wo meine Worte sinnlos verhallten, ungehört und ungeglaubt.
»Du weißt aber, dass es dann die dritte Frage ist, oder? Linna?«
»Ich weiß. Macht schon.« Simon spielt auf die Möglichkeit an, mich zu bestrafen, falls ich in den Augen der anderen erneut lüge. Bestrafen … Meinen sie wirklich, die Aussicht auf eine Strafe könne mich einschüchtern? Was wollen sie denn schon tun? Schlimmer als zu Hause kann es nicht werden. »Falls es dein Gewissen beruhigt, kann ich den Fragesteller selbst auswählen«, versuche ich Simon seine Zweifel zu nehmen, die sich als zwei dicke rote Falten in seine Stirn gegraben haben.
»Hm.« Mit dem Zeigefinger stupst er seine Brille nach oben. Auch er schwitzt, seine Nase glänzt wie Maggies Stirn. »Na gut. Eine Frage noch.«
»Ich wähle Tobi«, verkünde ich und im gleichen Moment ertönt von draußen ein so lautes Scheppern, dass wir alle gleichzeitig zusammenfahren. Das Feuer im Ofen flammt knisternd auf, als ein heftiger Windstoß mit einem klagenden Heulen durch den Schornstein fährt. Es hat zu stürmen begonnen. Prasselnd schlagen Eiskristalle gegen das Fenster.
»Okay, gut.« Tobi muss seine Stimme erheben, um sich gegen das Brausen einer neuerlichen Böe durchzusetzen, doch als er seine Frage ausspricht, herrscht für wenige Sekunden absolute Stille, als wolle sogar der Wind unserem Spiel lauschen. »Was war deine schönste Liebesnacht?«
»Geht’s eigentlich immer nur um Sex?«, kläfft Simon los. »Nur Sex, Sex, Sex … Habt ihr keine anderen Themen?«
»Wieso, Sex ist doch was Schönes«, verteidigt sich Tobi gekränkt.
»Ja, wunderschön«, bestätige ich mit mildem Spott, bevor Simon sich weiter in seine Erotikparanoia hineinsteigert. Er nimmt sein Amt als Zeremonienmeister etwas zu ernst. Wir sind ja nun alle über achtzehn und ich finde die Frage nicht verwerflich. Ich muss außerdem keine Sekunde lang überlegen, um die Antwort zu finden. Dazu braucht es keinerlei Abwägen und jeder wird mir glauben. Trotzdem spüre ich die Hitze in mein Gesicht wallen, als ich sie ausspreche. »Meine Nacht mit Falk.«
Maggie keucht überrascht auf und hält sich die Hand vor den Mund. Alle anderen Köpfe wenden sich zu Falk, der von Luna ablässt und mir einen verständnislosen Blick zuwirft.
»Wie bitte?«
»Ja, okay, in dieser Nacht ist nicht alles passiert«, gebe ich offen zu. Ich möchte ihm nichts andichten, was nicht gewesen ist, das wäre peinlich. »Aber das muss ja auch nicht sein. Es war meine schönste Liebesnacht. Definitiv.«
»Wann soll denn das gewesen sein?«, hakt Maggie mit einem unterdrückten Kichern in der Stimme nach.
»Ja, das wüsste ich auch gerne«, bemerkt Falk fragend und schaut mir direkt ins Gesicht. Schlagartig weicht das Blut aus meinen Händen und meine Finger werden eiskalt. Gleichzeitig bricht mir unter den Achseln der Schweiß aus, ein unangenehmes, klebrig-warmes Gefühl. Falk weiß nicht, welche Nacht ich meine? Habe ich ihn richtig verstanden? Aber das … das kann nicht sein.
»Na, diese Nacht mit den Sternschnuppen, im Sommer, daran musst du dich erinnern! Ihr alle müsst euch daran erinnern. Wir haben Badminton gespielt, im Dunkeln, wisst ihr nicht mehr? Danach wollten wir ins Durchbruch, sind aber wieder zurückgefahren, weil Jules Sternschnuppen anschauen wollte – Jules, das musst du noch wissen! Erinnerst du dich nicht?«
»Doch«, entgegnet er mit undurchsichtiger Miene und schiebt seinen Unterkiefer ein Stückchen nach vorne. »Sternschnuppen.«
»Ja, genau. Ihr habt sie euch im Garten angesehen und Falk und ich, wir … wir waren im Schlafzimmer von Jules’ Eltern …«
»Was?« Maggie schüttelt sich. »Ihr habt es im Schlafzimmer meiner Schwiegereltern gemacht? Julian, wusstest du das?«
Jules schweigt und entgegnet Maggies entsetzten Blick nicht.
»Wir haben es nicht gemacht …« Es klingt furchtbar, wenn Maggie das sagt. Als sei es eine Todsünde gewesen. Ich atme langsam aus und hole ebenso langsam Luft, um einigermaßen ruhig weitersprechen zu können. »Wir … wir waren uns nahe, wir …« Herrgott, wie deutlich soll ich es noch beschreiben? Das will ich nicht, das geht zu weit. Hilfe suchend gucke ich zu Falk, doch nun weicht er meinem Blick aus. »Ich dachte, ihr wusstet das.«
»Ich weiß es ja nicht mal. Und ich war angeblich dabei«, schaltet sich Falk wieder in das Gespräch ein, während Jules sich in sein Schweigen vergräbt, als biete es ihm Schutz. Maggie schüttelt den Kopf, doch ich sehe,
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