Linna singt
dass sie grinsen muss. Für einen Moment möchte ich ihr dieses Grinsen aus dem Gesicht prügeln. Das hier ist nicht lustig. Spielen sie mir etwa einen Streich? Wollen sie mich gemeinsam auflaufen lassen?
»Ich weiß auch nichts davon, Linna. Und wir haben gar keine Sternschnuppen beobachtet. Wir waren kurz im Garten, Jules wollte uns Bier holen, aus der Küche, aber es war keines mehr da und so sind wir zur Tanke gefahren und dann …« Maggie stockt und ihr Schmunzeln löst sich auf. »Dann hat Julian Streit mit der Tussi an der Kasse angefangen, weil sie ihm den Wodka nicht verkaufen wollte, obwohl er schon zwanzig war, aber er hatte keinen Ausweis dabei … das weiß ich noch.« Ihre Stimme wird immer leiser, ihr Blick geht nach innen. Ich kann nicht sagen, ob sie bewundernd oder eingeschüchtert dabei wirkt. »Und dann ist er ausgerastet. Hat die ganzen Blumen vor der Tanke zerfetzt. Wir sind abgehauen, ehe die Tussi die Bullen rufen konnte.«
Wie immer, wenn Maggie versucht, cool daherzureden, beschleicht mich das Gefühl, sie zurückpfeifen zu müssen, selbst jetzt, in diesem unwirklichen Augenblick. Das nimmt ihr doch niemand ab, Tussi, Wodka, Bullen. Aber um Jules zu imponieren, hat sie jeden Scheiß mitgemacht. Und noch immer versucht sie, seine Sprache zu imitieren. Trotzdem, was ich da höre, ist neu. Sie wissen es also gar nicht, sie sind noch einmal zusammen weggefahren und Jules ist ausgerastet …
Ja, ab und zu hatte er das, selten, dann tickte er aus und musste irgendetwas kaputt machen. In einer nebligen Novembernacht hat es mal einen Zigarettenautomaten erwischt, der sein Geld geschluckt hatte, aber keine Kippen ausspuckte. Ohne ein Wort zu sagen, stumm und verbissen, drosch Jules auf den Automaten ein, mit Händen und Füßen, bis der Kasten sich von der Wand löste. Aber selbst dann ließ Jules nicht von ihm ab. Maggie flehte ihn an, doch bitte endlich aufzuhören und wegzulaufen, bevor ihn jemand bemerkte und die Polizei holte, doch ich habe mich schützend vor ihn gestellt und ihn gewähren lassen, weil ich genau wusste, dass das jetzt sein musste, dass ihn sonst seine Wut von innen verbrennen würde. Was der Grund dieser Wut war, haben wir nie erfahren. Sie kam und ging, wenn er etwas getrunken hatte, und außerhalb dieser Anfälle war er der friedlichste Mensch der Welt. Gegen Menschen richtete sich seine Wut niemals. Obwohl ich bei dieser Sache mit dem Zigarettenautomaten das Gefühl hatte, er habe an Menschen gedacht, als er es tat. Ich weiß nur nicht, ob es Menschen waren, die er liebte, oder Menschen, die er hasste. Vielleicht dachte er sogar an sich selbst.
Maggies Erinnerungen lenken mich ab und verwirren mich, ich habe das Gefühl zu träumen, ja, ich irre träumend durch mein Leben und kenne mich nicht mehr darin aus. Wann lösen die anderen dieses Labyrinth auf? Wann sagen sie endlich, dass es nur ein Streich war? Ich weiß nicht, wozu ich fähig bin, wenn sie dabei bleiben und Falk die Nacht weiterhin verleugnet. Mein Herz schlägt so wild, als wolle es aus meinem Körper springen.
Ein paar lähmende Sekunden hören wir gebannt dem Heulen des Sturms zu. Es ist schwierig, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf das unruhige Wüten da draußen vor dem klapprigen Fenster, das schon von einer dünnen Schicht Schnee bedeckt ist. Obwohl meine Gedanken fortzufliegen scheinen, versuche ich, eine Schlussfolgerung an die nächste zu reihen. Maggie, Simon und Jules waren also gar nicht mehr im Haus. Als ich morgens aufwachte, war Falk verschwunden. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wann er gegangen ist. Er kann sich auf den Weg gemacht haben, bevor die anderen zurückkamen, und sie dachten, ich habe mich bereits zum Schlafen zurückgezogen und Falk sei weg. Aber normalerweise schlief ich oben auf dem Dachboden, zusammen mit Jules und Simon. Haben sie mich nicht vermisst?
»Was ist denn nun?«, mischt sich Maggies Mädchenstimme in das Tosen des Sturms. Die Dachbalken über uns knirschen, als würden sie von der Macht der Elemente zur Seite bewegt werden. »Gab es diese Liebesnacht mit Falk? Oder weiß er nichts mehr davon, weil du ihn vorher k. o. geschlagen hast?«
Nicht übel, Maggie, denke ich mit ätzendem Spott, gar nicht übel, dein Versuch eines Witzes.
»Falk?« Ich nicke ihm herausfordernd zu und sehe in seine Augen, die mich nicht anblicken, doch er schüttelt bedächtig den Kopf.
»Nein. Ich erinnere mich nicht. Ich erinnere mich vage an das Badminton im Dunkeln
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