Linna singt
und an verbrannte Steaks … an viel Bier und … na ja, das ein oder andere Tütchen …« Er hustet und drückt sich dabei die Faust gegen den Mund. »Ich hab mich ziemlich zugeballert. Aber mit Linna im Schlafzimmer von Jules’ Eltern – nee. Kann eigentlich nicht sein.«
Mit Linna? Ich sitze dir gegenüber, sprich mich direkt an! »Du warst nicht zu!«, rufe ich erzürnt. »Nicht betrunken und nicht bekifft!« Jules und Falk hatten sich eine Tüte geteilt, das ist wahr, aber Falk hatte nur ein oder zwei Züge genommen und niemals ist man davon so stoned, dass man sich nicht mehr an eine Nacht mit einer Frau erinnert.
Falk hebt beide Hände und lässt sie wieder fallen. »Wir haben es übertrieben. Sorry, Linna, ich erinnere mich nicht, das war eine wilde Zeit … Denke trotzdem, ich würd’ mich erinnern, wenn ich mit dir geschlafen hätte.«
»Das hast du auch nicht, aber … wir haben … Falk, du musst dich erinnern! Du musst!«
Er soll endlich aufhören mit diesem kranken Spiel. Maggie zieht an meinem Ärmel, um mich wieder zu den anderen nach unten zu holen; ich habe gar nicht gemerkt, dass ich aufgesprungen bin.
»Du blamierst dich, Linna …«, zischt sie unterdrückt. »Das ist echt zum Fremdschämen, lass ihn in Ruhe.«
»Es gab diese Nacht! Ich lüge nicht! Es ist die Wahrheit, ich habe mir das nicht eingebildet. Ich weiß es noch genau, alles weiß ich …«
Falk sieht an mir vorbei, seine großen Hände wieder in Lunas Fell vergraben. Sie ist die Einzige, die mich direkt anschaut, weich und beinahe sorgenvoll, als wüsste sie, was ich gerade durchmache. Es ist noch schlimmer als zu Hause. Dass sie mir nichts glaubt und die Wahrheit verdreht, wie es ihr passt, bin ich gewohnt. Aber jetzt – jetzt ist es Falk, der das tut. Falk! Ist das wahr? Er war so zugedröhnt, dass er einen Filmriss hatte? Das hätte ich doch merken müssen!
Wieder kracht es im Gebälk und ein kalter Luftzug dringt durch die Ritzen und Fugen des schlecht abgedichteten Fensters über mir. Ich spanne sämtliche Rückenmuskeln an, um nicht zu zittern.
»Also hat sie wieder gelogen«, fasst Maggie vorsichtig zusammen, als niemand etwas sagt. »Das dritte Mal. Oder glaubt ihr Linna? Wer ist für euch glaubwürdiger, Linna oder Falk?«
Jules zeigt keinerlei Reaktion, während Falk schon wieder seine Schultern hebt und fallen lässt, ihm ist das hier alles egal. Er ist nur Zuschauer. Tobi kratzt unschlüssig an dem Flaschenetikett herum. Doch ich spüre genau, dass sie an mir zweifeln. Herrgott, wieso sollte ich das denn erfinden? Ich habe es nicht erfunden, es ist genau so geschehen, wie ich es in Erinnerung habe. Ich könnte so etwas gar nicht erfinden, dazu fehlt es mir an Fantasie. Oh, warum gibt es nicht für jeden Menschen eine Kamera, die alles aufzeichnet, was er macht und sagt? Das hab ich mir schon so oft gewünscht. Mit ihr hätte ich beweisen können, was sie mir nie geglaubt hat. Und auch jetzt könnte ich dem Rätselraten damit ein schnelles Ende bereiten.
Aber ich habe den Film dieses Abends nur in meinem Kopf, aus vielen verschiedenen Einstellungen und Perspektiven, ich sehe uns von oben, im Close-up, ich sehe mich durch Falks Augen und ich sehe ihn aus der Ferne und von Nahem, ich sehe uns und wir wirken tatsächlich wie aus einem Film entführt. Es war vollkommen, ja, das war es, und ich weiß nicht, wie man etwas so Vollkommenes vergessen kann. Es sei denn, es war für ihn nicht vollkommen, sondern mangelhaft, und er will es unbedingt vergessen … Weil er nichts dabei empfunden hat, alles nur gespielt.
»Es war so. Ich lüge nicht«, beharre ich. »Falk und ich haben diese Nacht zusammen verbracht.«
»Linna. Hör schon auf. Bitte.« Wieder will Maggie mich zu sich nach unten ziehen, doch ich schüttele ihre Hand mit einem Ruck ab. Das hier muss der Abend sein, auf den sie gewartet hat. Linna mit dem Rücken zur Wand, abgestempelt als mannstolle Lügnerin. Sie hat einen Ehemann, ich einen erfundenen Lover. »Jules, sag doch auch mal was …«
»Schluss jetzt!« Simons schneidend helle Stimme lässt selbst Maggie zusammenzucken. »Es reicht. Ich breche das Spiel an dieser Stelle ab. Und es gibt keine Wiederholung. Das war ein einmaliger Versuch.«
Simon zerrt die Flasche aus Tobis Händen, steigt über Jules und Luna zur Tür und verlässt den Raum. Ich bleibe stehen, lehne mich neben dem knackenden Ofen an die Wand, zu schwach in den Knien, um die schmale Treppe hinunterzuklettern, aber zu stark, um
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