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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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nichts reden und nichts erklären oder gar beweisen.
    »Können wir mal zurück zum Thema kommen? Wir wollten nur wissen, ob Linna jemanden außerhalb des Rings geschlagen hat, und ich weiß, dass sie es getan hat.«
    »Ach ja? Wen hab ich denn geschlagen?«
    Plötzlich habe ich eine vage Ahnung, worauf Maggie anspielt, aber davon kann sie nichts wissen. Es gibt die Schweigepflicht und daran muss sich jeder halten, auch die Sanitäter und die Pfleger und … Oh nein. Mutter hat es selbst erzählt. Aber natürlich! Sie selbst ist die Quelle. Sie ist es, die mich hier vorführt, mal wieder. Sie kann es nicht lassen …
    »Deine Mutter. Du hast deiner Mutter eine Platzwunde in den Kopf gehauen. Mit einer Teekanne. Oder?«
    Maggies Tonfall klingt beinahe vertraulich, doch das kann ihren Worten nicht ihre Sprengkraft nehmen. Ich presse meine Hände auf den Boden, als wäre da irgendein Magnetismus in den Holzdielen, der mich davon abhält davonzustürmen. Erkläre dich, Linna. Versuche es zu erklären, wie du es damals aus einem unerträglich schlechten Gewissen heraus versäumt hast und stattdessen nur wirre Entschuldigungen gestammelt hast. Jetzt kannst du die Wahrheit sagen. Meine eigenen Worte kommen mir fremd vor, als ich anfange zu reden, abgehackt und blechern wie ein Roboter.
    »Sie hat mich angegriffen. Mit dem Klavierstuhl. Sie hat ihn über ihren Kopf erhoben und ist damit auf mich losgegangen, ich hatte Angst, sie schlägt mir den Schädel ein …«
    »Deine Mutter ist klein und schmal, Linna. Wie soll sie das denn schaffen, ich meine …«
    »Sie hat es getan!« Gleich wird mir schlecht. Dann kotze ich den anderen vor die Füße. Ich will nicht an diesen Tag denken, nicht an dieses Bild, wie meine eigene Mutter diesen schweren Klavierhocker nimmt und ihn über sich erhebt, um mich zu treffen, weil ich nicht bin, wie sie es gern möchte, und mich nicht benehme, wie sie es sehen will, weil ich mein Soll als Tochter nicht erfüllt habe … Ja, Maggie hat recht, wahrscheinlich wäre es mir ein Leichtes gewesen, ihr den Hocker aus den Händen zu ziehen und zurück auf den Boden zu stellen. Aber ich sah nur seine mächtigen Füße vor meiner Stirn schwanken, weil sie das Gewicht kaum kontrollieren konnte, dazu gellte ihr Schreien in meinen Ohren, es raubte mir die Sinne. Ich bin in die Küche gerannt, habe mir das nächstbeste Gefäß gegriffen, das ich fand, die rote Emailteekanne, und sie mit kaltem Wasser gefüllt, weil ich sie damit zur Besinnung bringen wollte – das habe ich getan, ich habe sie mit Wasser gefüllt, ich wollte sie damit nicht schlagen, niemals, das ist nur passiert, weil sie plötzlich ihren Kopf herumriss, genau in dem Moment, als ich das Wasser ausleeren wollte! Ich habe die Kanne fallen lassen und bin in mein Zimmer gerannt, habe die Tür zugetreten und mich unter der Bettdecke verkrochen, aber auch die Finger in meinen Ohren konnten ihr lautes, klagendes Heulen nicht aussperren. Also bin ich wieder aufgestanden und zurück ins Wohnzimmer gelaufen und alles war voller Blut … Blutflecken auf dem Teppich und auf dem Sofa, überall Blut, und sie stand in der Mitte des Zimmers und schrie: »Ich blute! Ich blute am Kopf! Es hört nicht auf!« Sie presste sich ein Handtuch auf die Wunde, auch das Handtuch war voller Blut, und all das hatte ich angerichtet, ich.
    Ich lief zum Telefon, ohne mich dabei zu spüren, ich habe mich nur gesehen, von weit weg, ein verdorbenes, niederträchtiges Mädchen, das seine eigene Mutter schlägt, und habe die Nummer ihres Hausarztes gewählt. »Kommen Sie bitte schnell. Meine Mutter hat eine Platzwunde am Kopf.« Ich habe sie geschlagen, weil sie mir nicht glaubte, weil sie mir niemals glaubt, weil sie nicht sehen will, wer ich bin. Sie müsste es besser wissen als jeder andere, aber sie sieht es nicht. Sie sieht mich nicht.
    »Nächste Frage«, fordere ich, als niemand etwas sagt und jeder stumm auf den Boden starrt, ohne mich anzusehen oder zu fragen, was genau damals geschehen ist. Und dabei soll es bleiben.
    »Ich finde, wir sollten das Spiel jetzt beenden.« Simon steht auf, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, doch niemand macht Anstalten, ihm zu folgen. »Hier sind schon einige Grenzen überschritten worden …«
    »Nein, ist in Ordnung. Nächste Frage.«
    Nächste und letzte Frage; eine Frage, die einfach zu beantworten ist. So, wie es jetzt steht, möchte ich das Spiel nicht beenden. Es soll anders ausgehen, als es mit ihr immer geschehen ist,

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